Jesuiten 2020-2

mit der herkömmlichen Lehre von der Kirche. War der „Leib Christi“ nicht der hierarchisch gegliederte Leib? Wurde das Leben Christi nicht zuerst einmal durch die amtlich verwalteten Sakramente weitergegeben? Das Beispiel der päpstlichen Enzyklika zeigt bereits das Grundproblem: Jedes Kirchenbild kann verschieden interpretiert werden. Als das II. Vatikanische Konzil das Bild des „Leibes Christi“ durch das Bild der Kirche als „Volk Gottes“ (und durch weitere biblisch motivierte Bilder) ergänzte, zeigte sich dieses Dilemma in besonderer Weise. „Volk Gottes“ wurde vielen zu dem „Reformbegriff“ des Konzils. Allerdings entbrannte schon bald ein Streit darum, wie dieses Bild zu verstehen war. Sagte es nicht etwas über die notwendige „Demokratisierung“ der Kirche aus, wie etwa auf dem Katholikentag in Essen von 1968 proklamiert wurde? Bedeutete es nicht, die Kirche jenseits ihrer verfassten Struktur als ethische Gemeinschaft zu verstehen, wie die Befreiungstheologie vermutete? War nicht mit „Volk Gottes“ zunächst die Gemeinschaft, die „communio“ der Kirche gemeint? Hatte nicht gerade der Begriff „Volk Gottes“ auf die hierarchische Gliederung der Kirche hinweisen wollen? Was sich also als ein gemeinsam getragener Grundbegriff für die Kirche bewähren sollte, wurde zum Ausgangspunkt für Streitigkeiten um die Ausrichtung und Struktur der Kirche. Das Bild war mehrdeutig. Wahrscheinlich wird man das „eine“ Kirchenbild niemals finden können. Eine Kirche als „Familie Gottes“, „Braut Christi“, „Bauwerk Gottes“, „Pflanzung“: Das Konzil hat viele Bilder genannt; die Theologie hat viele Bilder durchdacht. Alle Bilder bleiben vorläufig. Es liegt an zeitgemäßen Spiritualitäten und Denkformen, Kirchenbilder immer wieder neu zu entwerfen und alte zu hinterfragen. Ähnlich wie die Kunst niemals stehen bleibt, wird es auch die Theologie nicht tun. Die Kirchenbilder der Zukunft werden wohl kaum die der Vergangenheit sein. Das Konzil hat dies gewusst: „Solange die Kirche hier auf Pilgerschaft fern vom Herrn lebt, weiß sie sich in der Fremde“ (Lumen Gentium 6). Sie bleibt auf der Suche, im Wissen darum, dass ihre Gestalt und die Art sie zu beschreiben, immer vorläufig ist. Georg Bergner Was wäre für Sie der Kernbestandteil der Kirche? JESUITEN n JUNI 2020 n KIRCHENBILD[ER] 3

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