Jesuiten 2020-2

Kirchenbilder – Entstehen und Vergehen Wenn Sie ein Kind um ein Bild der Kirche bitten, malt es wahrscheinlich ein Gebäude. Das ist nicht verwunderlich. Das Kind hat beim Wort „Kirche“ an Dinge gedacht, die es mit diesem Wort assoziiert. Beim tieferen Nachdenken darüber, was ich eigentlich unter „Kirche“ verstehe, werde ich – je nach Erfahrung – unterschiedliche Dinge nennen können: den Sonntagsgottesdienst, die Gemeinschaft, eine kirchliche Sozial- oder Bildungseinrichtung, den Religionsunterricht, den Kirchenvorstand, ein soziales Projekt, den Papst, den Kölner Dom, die zehn Gebote, eine Tauffeier, ein Gemeindehaus, die Exerzitien oder eine Ordensschwester. Alle diese Personen, Institutionen, Gruppen, Riten, Texte, Traditionen oder Aktionen gehören zur Kirche dazu. Was wäre für Sie der Kernbestandteil der Kirche? Einige würden vielleicht an Jesus Christus denken, an die Bibel, an die Nächstenliebe, die Eucharistie oder eine bestimmte Heiligengestalt. Kirchenkritische Geister würden etwas anderes wählen, einen Moralapostel, den Petersdom als Symbol kirchlicher Macht, eine bröckelnde Fassade… Die Theologie des 20. Jahrhunderts unternahm den Versuch, ein allgemein gültiges und verständliches Bild der Kirche zu finden. Dies geschah vielleicht noch mit einem Rest romantischer Begeisterung, nach der allen Dingen und damit auch den verschiedenen Erscheinungsformen der Kirche eine gemeinsame Gestalt innewohnte, die man erkennen könne, wenn man nur das „Zauberwort“ träfe. Die Phänomenologie als philosophische Disziplin vermutete hinter den einzelnen Dingen einen tieferen Sinn. Das Sichtbare der Kirche sollte ein Ausdruck von etwas Unsichtbarem sein. So entstand in den 20er Jahren die große Begeisterung für die Kirche als „Leib Christi“. Hatte man die Kirche nach dem Ersten Vatikanischen Konzil eher als Institution, als „vollkommene Gesellschaft“ (societas perfecta) oder als Trutzburg gegen die Irrtümer der jeweiligen Zeit verstanden, verhieß das Bild vom „Leib Christi“ eine größere Dynamik. Die Idee: Christus gibt sein Leben und seinen Geist durch die Zeiten in den Menschen, Lehren und Riten der Kirche weiter. Wer zur Kirche gehört, ist Teil einer lebendigen Gemeinschaft. Es waren die jungen Wilden, eine neue Generation nach dem ersten Weltkrieg, die dieses Kirchenbild begierig aufnahm und so stark machte, dass es Papst Pius XII. 1943 in seiner Enzyklika ‚Mystici corporis’ lehramtlich adelte. Allerdings fasste er das neue Leitwort eher mit spitzen Fingern an. Der Papst kam der Jugend in der Begrifflichkeit zwar entgegen, verband aber das Bild des „Leibes Christi“ zugleich 2 SCHWERPUNKT JESUITEN n JUNI 2020 n KIRCHENBILD[ER]

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