Jesuiten 2020-4

Zuhören und Redlichkeit Politik ist nicht gerade das Geschäft des Zuhörens – erst recht nicht im ignatianischen Sinne des wohlwollenden Zuhörens, bei dem es darum ginge, „die Aussage des Anderen zu retten“, wenn dieser Andere sich ungeschickt ausdrückt oder Behauptungen nicht belegen kann. Zumindest in der Auseinandersetzung mit der politischen Konkurrenz auf der öffentlichen Bühne – egal ob im Parlament oder bei einer Podiumsdiskussion – ist das Zuhören oft eher ein Lauern auf die Gelegenheit zum Angriff, auf die Steilvorlage, die der Andere beim Sprechen womöglich bietet, um ihm dann in die Parade zu fahren. Ganz anders ist die Situation im Gespräch mit Bürger*innen jenseits der öffentlichen Bühne, in der Sprechstunde im Wahlkreisbüro oder auch am Wahlkampfstand auf der Straße. Gerade zur Bürgersprechstunde kommen Menschen mit dem berechtigten Anspruch, dass ich als gewählte Abgeordnete ihnen zuhöre, offen für ihre Anliegen bin, Kritik anhöre und aushalte. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Menschen voller Vorwürfe und Misstrauen gegen „die Politik“ oder „die Grünen“ ins Gespräch gegangen sind – und am Ende gesagt haben „Na, mit Ihnen kann man immerhin reden, Sie scheinen wirklich zuzuhören“. Ich glaube nicht, dass diese Menschen unbedingt am nächsten Wahltag ihr Kreuz bei meiner Partei gemacht haben, darauf kommt es in diesen Gesprächen auch nicht an. Ich möchte vielmehr verstehen, welche Erfahrungen mein Gegenüber zu seinen Positionen geführt haben. Sehr oft stecken hinter kruden Sätzen, hinter Allgemeinplätzen gegen „die da oben“ Erfahrungen, die ernst zu nehmen sind. In der Krise wird die Auseinandersetzung insgesamt schärfer und auch schriller. Zwar ist auch in der Auseinandersetzung mit Teilnehmer*innen an den CoronaDemos Zuhören wichtig, um zu unterscheiden, ob es dem Gegenüber um legitime Kritik an Corona-Maßnahmen geht oder um das Verbreiten von Verschwörungsideologien. Aber es gibt auch ein unredliches Zuhören, das Verständnis heuchelt, wo Widerspruch angebracht ist. Das ist der Fall, wenn Demonstrant*innen aus der Tatsache, dass ihre Meinung keine Mehrheit findet, ableiten, dass ihre Meinung unterdrückt würde. Oder wenn sie nichts dabei finden, neben Nazis zu marschieren, aber gleichzeitig behaupten, mit Rechten nichts zu tun zu haben. Zuhören muss eben nicht immer mit Zustimmung enden. Es kann in manchen Gesprächen redlicher sein zu sagen: „Ich habe Dir zugehört, und ich glaube zu verstehen, was du meinst. Aber ich teile Deine Meinung ganz und gar nicht.“ Bettina Jarasch 17 JESUITEN n DEZEMBER 2020 n HÖREN

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==