Jesuiten 2020-4

Reflexion (vgl. EB 2) ist dafür ein wichtiges Instrument und ein Lernfeld einer eigenen Sprach- und Unterscheidungsfähigkeit: Eine Sehnsucht unserer Zeit sucht eine klare Unterscheidung zwischen gut und böse, nach einer Klarheit, die es so nicht gibt. Die Welt, unser Miteinander besteht aus Nuancen, Grautönen und Pastellfarben. Auch wenn natürlich nicht alle „unsere“ Jugendlichen aus einem klassisch-katholischen Umfeld kommen oder sich selbst als gläubig bezeichnen, gibt es eine Offenheit, eine Neugierde und einen – angesichts aller Skandale und Abgründe in der Kirche und gerade auch in der jüngeren Geschichte unseres Ordens – verblüffenden Vertrauensvorschuss. Darin liegt das Fundament, dass sich etwas – oft überraschend und unerwartet – ereignen kann. Seitens der Jesuiten drückt sich diese Offenheit in einer Zweckfreiheit aus: Zuerst und vor allem geht es um die Begegnung, eine Präferenz zu begleiten, da zu sein, sich anzubieten, zu zuhören. In der Sprache des Exerzitienbuchs: Das Vertrauen, dass Gott direkt mit seinem Geschöpf arbeiten wird. Schon die Frage nach diesem Gott in meinem Leben oder das einfache Zeugnis unserer Lebensform kann zu einer Reflexion anregen, wer ich selbst eigentlich bin oder wie ich „ticke“. Und auch die Fragen der Jugendlichen, ihre Beobachtungen und Sichtweisen – sei es auf Bullifahrten nach einer Aktion, zu später Stunde nach einer Leiterrunde oder während einer Pause – helfen auch mir, darüber nachzudenken, wer ich selbst eigentlich bin, was ich als Jesuit leben will und was es zu tun gilt. Bei seinem Besuch in Genf sagte der Generaloberer P. Arturo Sosa: „Oftmals gehen Jesuiten davon aus, man müsse junge Menschen zu allem anleiten und ihnen den Weg zu Gott zeigen. Kennen wir diesen Weg denn selber genug? Vielleicht geht es nicht darum, den Jugendlichen zu helfen, sondern dass uns viel mehr junge Menschen helfen können.“ Die Präferenz, Jugendliche zu begleiten kann zu einem Ort werden, wo Begegnungen konkret werden, mit ihren Mühen und Freuden. Und dafür lohnt es sich, seine ach so wichtigen Tätigkeiten zu unterbrechen, und den jungen Menschen mit ihren Fragen, Anregungen und dem scheinbaren Belanglosen den Vorzug zu geben. Dag Heinrichowski SJ © SJ-Bild/Christian Ender 32 JESUITEN n DEZEMBER 2020 n HÖREN In der Ignatianischen Schulgemeinschaft (ISG) in Berlin verbringen Schüler*innen des CanisiusKollegs nach der Schule ihre Freizeit und lernen selber Verantwortung zu übernehmen.

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