Jesuiten 2020-4

6 SCHWERPUNKT JESUITEN n DEZEMBER 2020 n HÖREN Im Chat zuhören?! Im Frühjahr dieses Jahres nahm ich eine ehrenamtliche Tätigkeit bei krisenchat.de auf. Gegründet wurde das Projekt von drei ehemaligen Schülern des CanisiusKollegs. Sie riefen damit ein bundesweites, kostenloses und Rund-um-die-Uhr erreichbares Hilfsangebot für Kinder und Jugendliche ins Leben. Die Kontaktaufnahme erfolgt über WhatsApp und SMS. Die Anonymität dieser medienvermittelten Kommunikation erleichtert es vielen Jugendlichen, sich mitzuteilen und anzuvertrauen. Sie ermöglicht auch sehr ängstlichen, vorsichtigen Jugendlichen sich in einem geschützten, virtuellen Raum Unterstützung zu suchen oder sich „alles“ von der Seele zu schreiben und dabei inneren Druck loszuwerden. Das kann bereits für eine erste Entlastung sorgen, insbesondere bei mit Scham besetzten oder emotional aufgeladenen Themen. Für mich war das Chatten als Instrument der Beratung ein Novum; denn der Dialog geschieht über das Schreiben und nicht über das Reden. Weder visuelle noch auditive Eindrücke – Mimik, Körpersprache, Stimmfarbe, Atemgeräusche – beeinflussen die gegenseitige Wahrnehmung. Das kann durchaus herausfordernd für den Einstieg und den Verlauf des Gesprächs sein, aber auch sehr entlastend. Meine ungeteilte Aufmerksamkeit gilt dem Text meines Gesprächspartners. Diesen Text lasse ich auf mich wirken, um ihn zu „verkosten“. Wenn ich mich darauf einlasse, und mein Gegenüber im Chat mich lässt, bekomme ich einen Geschmack davon, was mein Gegenüber bewegt und ich kann ihn oder sie sogar an ihre „dunkelsten“ Orte begleiten. Und tatsächlich kann so auch Nähe trotz der Distanz, die das Medium schafft, entstehen. Wie tragfähig diese Nähe ist, hängt auch von meiner inneren Haltung ab und der Bereitschaft, diese zu reflektieren. Gut am Chat ist, dass dieses Medium mir dies erlaubt. Wenn ich spüre, dass ich auf einen Text auf eine Weise reagiere, die zu sehr von Eigenem gefärbt ist, wenn mich da etwas beängstigt oder wenn ich merke, dass ich zu zügig einen diagnostischen oder lösungsfokussierten Blick bekomme, obwohl dieser gar nicht gefragt ist, dann ermöglicht mir das Medium Chat innezuhalten. Ausgerechnet das Internet, das heutzutage so vieles beschleunigt, bietet mir in diesem virtuellen Raum die Möglichkeit, mich und das Gespräch zu entschleunigen. Gerne nehme ich diese Erfahrungen mit in meinen Berufsalltag und übe mich weiter im so wichtigen Zuhören! Christiane Suckow-Büchler © Olha Kozachenko shutterstock.com

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