Jesuiten 2021-2

SCHWERPUNKT 5 in der Krippe von Betlehem steckte oder am Kreuz inJerusalem hing, dem ich mich in frommen und distanzierten Gebeten widmete? Die kecke Nina half mir, das brave Korsett des Gebetbuchs zu lockern. Was passiert, wenn ich das auch einmal versuche? Hallo Jesus, hier ist Ruth. Das gefiel mir. Je mehr ich Jesus so suchte und herbeirief, umso vertrauter wurde er mir. Ich spürte, dass er da war, meistens. Und plötzlich wollte er etwas von mir. Jahre später zog es mich als Volontärin nach Wien ins Jugendhaus der Caritas. Wir startetenein neues Projekt für Obdach- lose, den Canisibus, der jede Nacht Obdachlosen Essen und Hilfe brachte. Bei der ersten Ausfahrt nahmen wir Jugendliche aus dem Haus mit. Sie sollten uns die Plätze zeigen, wo sie einmal gehaust hatten. In der Nähe des Praters kamen wir zu abgestellten Eisenbahnwaggons. Aus der Nacht schleppten sich uns Gestalten entgegen, verwahrlost und krank. Gierig schlürften sie die warme Suppe. Dann mussten wir noch mitkommen zu einer Bauhütte. Es stank furchtbar. Mit der Taschenlampe leuchteten wir in alle Ecken, bis wir Peter sahen. Er konnte nicht gehen, weil ihm sein rechter Fuß amputiert worden war. Wir nahmen den durchnässten und schmutzigen Verband vom Kniestumpf. Da tropfte der schwarze Eiter! Ich trat einen Schritt zurück und rang nach Luft. Was tun? Mein Begleiter nahm Verbandszeug aus der Tasche. Als ich sah, wie er tapfer die Wunde abwischte, fasste ich mich wieder. Wir legten einen Verband an und stopften die alten Fetzen in einen Müllsack. Peter dankte. „Sollen wir dich in ein Spital bringen?“ Er verweigerte es, von dort sei er schon abgehauen. „Wir kommen jetzt jeden Abend und verbinden dir das Knie“, versprachen wir. Schaffe ich das, auch wenn ich da allein hingehen muss?, fragte ich mich. Da hörte ich in mir eine Stimme: Hallo Ruth, hier ist Jesus. Ich brauche dich! Ich kann das, versuchte ich mich zu ermutigen. Heute lebe ich in Transsilvanien, in der Nachbarschaft von Roma-Familien. Nahe sind mir vor allem junge Frauen, von vielen Kindern umringt, sie finden keinen Weg aus dem Elend. Wenn sie mich anschauen, sehe ich die Worte: Hier bin ich, Jesus, überfordert und geschlagen. Ich spüre, dass ich gebraucht werde. Aber ich muss Jesus oft zu Hilfe rufen: Hier bin ich, gib mir Kraft für meine Aufgabe! Mit den Frauen kommt mir Jesus entgegen. Sie kämpfen für ihre Kinder, mehr als viele Väter, die flüchten. Es ist staunenswert, wie Frauen die Sozialarbeit mittragen. Mit ihrer Freundschaft machen sie mir Mut. Dana hat sieben Kinder und einen betrunkenen Mann. Sie lacht mir entgegen. Iova bringt unsere Küche zum Glänzen, während ihr großer Sohn die Arbeit verweigert und bei den Nachbarn eingebrochen hat. Das Schönste ist, wenn wir miteinander Kaffee trinken und – auch – lästern. Wir sind Freundinnen – wie die biblische Ruth, die Fremde, die in der größten Not zu ihrer Schwiegermutter aus Juda hielt. Der Name – Ruth heißt Freundin – ist Jesus in den Stammbaum geschrieben. Er umhüllt mich mit Freundschaft. Für meine Mutter konnte ich zum 90. Ge- burtstag mit den Geschwistern aus tiefstem Herzen singen: „Jesus bleibet meine Freude, meines Herzens Trost und Saft. Jesus wehret allem Leide, er ist meines Lebens Kraft. Meiner Augen Lust und Sonne, meiner Seele Schatz und Wonne, darum lass‘ ich Jesum nicht aus dem Herzen und Gesicht.“ (Kantate von J.S.Bach)­ Ruth Zenkert wirkt seit der Bibelschule im Jahr 1984 mit P. Georg Sporschill SJ in der Sozialarbeit. 2012 gründeten sie das Werk ELIJAH für Roma- familien in Transsilvanien. Meinrad Dufner ©Katharina Gebauer

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==