Jesuiten 2021-2

Jesuiten Jesus 2021-2

Diese Druckerzeugnis wurde klimaneutral hergestellt, d.h. die mit der Produktion quantifizierten CO2-Emissionen werden durch Klimaschutzzertifikate kompensiert. Jesuiten 2021-2 1 Editorial Schwerpunkt 2 Als Gefährte Jesu durch die Zeit 4 Meine Suche nach Jesus 6 Als Mann in Beziehung mit Jesus 7 Jesus im Zentrum 8 Wie meine Sendung die Beziehung zu Jesus verändert 10 Jugend und Jesus 12 Verschiedene Lebensphasen, verschiedene Jesusbilder 14 Was bedeutet mir Jesus? 17 Auf der Suche nach Sinn 18 Jesus der Jude 20 Spiritualität mit und ohne Jesus Geistlicher Impuls 22 Es wird schon Was macht eigentlich? 24 Lukas Ambraziejus SJ – Gemeinsam gegen Corona Nachrichten 26 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 30 Jubilare 30 Verstorbene Medien/Buch 31 Pierre Emonet SJ - Petrus Canisius. Der Unermüdliche Vorgestellt 32 Das neue JESUITEN-Magazin 34 Die besondere Bitte Standorte der Jesuiten in Zentraleuropa Titelbild: Meinrad Dufner © Katharina Gebauer Wer war dieser Jesus von Nazareth? Was bedeutet er für uns heute? Säugling in der Krippe, Wundertäter, Anwalt der Ausgestoßenen, Sohn Gottes, Verzweifelter am Ölberg, Visionär und Gekreuzigter. Es sind Rollen und Bilder, die entstehen, wenn nach Jesus gefragt wird. Manchmal Einzelaufnahmen, manchmal Serien. So wie die Werke, die auf den Fotografien in diesem Heft zu sehen sind. Die Fotos sind ein Streifzug durch das Atelier von Meinrad Dufner. Der Benediktinermönch und Künstler der Abtei Münsterschwarzach geht seit Jahrzehnten mit seinen Werken eben der Frage nach, wer Jesus war – und ist. Und was es heißt, ihm zu folgen. Mal im Großen, mal im Kleinen. Stefan Weigand Meinrad Dufner ©Katharina Gebauer

EDITORIAL 1 Liebe Leserinnen und Leser, in Ihren Händen halten Sie etwas ganz Neues: die erste Ausgabe des „Jesuiten“-Heftes der neuen zentraleuropäischen Provinz der Gesellschaft Jesu. Von Uppsala bis Graz, von Vilnius bis Genf erstreckt sich die neue Verwaltungseinheit unseres Instituts quer über Mittel- und Teile Nord- und Osteuropas. Zugleich mit dem geografischen weitet sich damit für uns auch der apostolische, kulturelle und kirchliche Horizont. Eine neue Provinz der Gesellschaft Jesu vorstellen, wie geht das? Am besten, indem wir den ins Zentrum stellen, um den es geht: Jesus. Deshalb stellen wir den Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe die einfache und doch anspruchsvolle Frage: „Was bedeutet Dir Jesus?“. Die Antworten darauf fallen, je nach Wirkungsfeldern und Perspektiven, sehr unterschiedlich aus. Die verschiedenen Persönlichkeiten in den vier Regionen der neuen Provinz überraschen mit einer facettenreichen Farbpalette an persönlichen Zugängen und Beziehungen zu Jesus. P. Provinzial und P. General sprechen darüber, was es für sie heißt, Gefährten Jesu zu sein. Eine Sozialarbeiterin entfaltet die Entwicklung einer innigen Beziehung, die sie als Frau zu Jesus hat; ein Jesuit sagt uns, worin für ihn die Männlichkeit Jesu besteht. Wir erfahren, wie die Tätigkeit als Kirchenrektor in Luzern die persönliche Beziehung zu Jesus in anderer Weise prägt als jene des Ausbilders am agricultural trainig centre auf einer Missionsstation in Sambia; oder auch jene des Latein- und Geschichtelehrers am Canisius-Kolleg in Berlin. Wie sich ihr Verhältnis zu Jesus im Laufe ihres Lebens verändert hat, erzählen uns zwei ältere Mitbrüder. Eine jüdische Neutestamentlerin schildert ihre persönlichen Zugänge zu Jesus. Ein junger litauischer Jesuit beschreibt seine lange spirituellen Suche, die ihn schließlich zu Jesus geführt hat, während die spirituelle Begleitung von religionsfernen Menschen einen anderen Mitbruder tiefer die Größe dessen entdecken lässt, auf den Jesus verweist. So unterschiedlich diese zeugnishaften Zugänge auch sein mögen, eines verbindet sie alle: ihre vertraute Beziehung zu Jesus, die ihren konkreten Alltag prägt. Liebe Leserin, lieber Leser, bevor Sie nun weiterlesen, schlagen wir Ihnen eine kleine Übung vor. Versuchen Sie in einem Satz die Frage zu beantworten: Was bedeutet Ihnen Jesus? Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen! Max Heine-Geldern SJ Sebastian Ortner SJ

SCHWERPUNKT 2 Als Gefährte Jesu durch die Zeit Der Evangelist Markus berichtet uns (Mk 3,13ff), wie Jesus auf den Berg ging, um sich im Gebet an den Vater zu wenden, bevor er diejenigen zu sich rief, die er an seiner Lebensmission teilhaben lassen wollte. Sie sandte er mit der Fähigkeit aus, zu predigen und „Dämonen auszutreiben“, d.h. den Weg zu Gott zu öffnen. So entstand die erste Gruppe der Gesellschaft Jesu. Eine Gruppe, die sich aus verschiedenen Menschen zusammensetzte, die sich bereit erklärt haben, dem spezifischen Ruf zu folgen, den jeder von ihnen erhalten hatte. Die zwölf Apostel, die Gruppe von Frauen, die Jesus zum Fuß des Kreuzes und zum Grab begleiteten, andere Jünger, die ihm begegneten und ihm öffentlich oder privat folgten. Durch die Jahrhunderte hindurch ist Jesus immer wieder hinausgegangen, um den verschiedensten Menschen zu begegnen und sie einzuladen, seine Lebensmission zu teilen. Verwundet in der Schlacht von Pamplona (1521) erfuhr Ignatius von Loyola einen ungewollten Bruch in seinem Leben, der zum Anlass einer unvorhergesehenen Begegnung mit Jesus wurde. Er spürte den Ruf, ihn zum alleinigen Mittelpunkt seines Lebens zu machen und entschied sich, ihn in seiner Lebensmission zu begleiten. „Allein und zu Fuß“ begann er sein Leben als Pilger, lernte, seine Erfahrungen zu vertiefen und sie mit anderen zu teilen. Daraus erwuchs die „Gesellschaft Jesu“, eine Gruppe von Gefährten, die sich bereit erklärte, Jesus gemeinsam zu folgen, das gleiche Leben zu teilen und sich ganz der Mitarbeit an der Sendung hinzugeben, die der Gemeinschaft der Nachfolger Jesu, der Kirche, anvertraut ist. Während der 480 Jahre der Pilgerschaft hat die Gesellschaft Jesu versucht, dem Herrn genau zu folgen, entsprechend den Anforderungen der „Zeiten, Orte und Menschen“. Sehr unterschiedliche „Zeiten“ trennen uns vom 16. Jahrhundert, als Ignatius und die ersten Gefährten ihre Erfahrungen mit der Lebensmission machten. Zwischen damals und heute ist der Leib der Gesellschaft universell geworden, sowohl in seiner geographischen Ausbreitung als auch in der Vielfalt der apostolischen Felder, in die er sich gewagt hat. Die „Orte“ waren dabei nicht nur physisch, sondern vor allem kulturell. In der heutigen Zeit, die durch die Globalisierung, die ökologische Krise und den Wechsel der historischen Epoche gekennzeichnet ist, dient die Gesellschaft Jesu weiterhin der Sendung der Kirche, inspiriert von den tiefen Intuitionen des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils und den Direktiven von Papst Franziskus. Die Annahme des Rufes, die Lebensmission der Gesellschaft Jesu heute zu teilen, beginnt mit einer persönlichen Begegnung mit Jesus, dem Prinzip und Fundament eines jeden Jesuiten und des Leibes, dem er sich anschließt, der gewidmet ist, jedem Menschen jeder Kultur den Weg zu Gott zu zeigen, wobei er sich auf die Erfahrung stützt, die er durch die Exerzitien und die geistliche Unterscheidung erhalten hat. Es bedeutet, mit den Ausgeschlossenen dieser Welt auf Pilgerschaft zu gehen und die Bemühungen zu begleiten, wirtschaftliche, soziale und politische Strukturen zu schaffen, die allen Völkern die Möglichkeit eines würdigen Lebens bieten. Es beinhaltet die Entscheidung, junge Menschen dabei zu begleiten, ihre Träume zu verwirklichen, zu entdecken, wie der Herr sie einlädt, eine bessere Welt zu bauen

SCHWERPUNKT 3 Meinrad Dufner ©Katharina Gebauer und die Hoffnung zur Motivation zu machen, sich auf eine bessere Zukunft zuzubewegen. Begleiter zu werden bedeutet heute auch, sich einem Lebensstil zu verpflichten, der dazu beiträgt, das Gleichgewicht mit der Umwelt wiederherzustellen und sich der menschlichen Strömung anzuschließen, die diese Welt zu einem authentischen „gemeinsamen Haus“ machen will, das gut gebaut und besser gepflegt ist. Arturo Sosa SJ Als Generaloberer ist er seit 2016 der Nachfolger des Hl. Ignatius. Pater Sosa wurde 1948 in Caracas (Venezuela) geboren und trat 1966 in den Orden ein. Neben dem Theologiestudium promovierte er in Politikwissenschaften. In seiner Provinz koordinierte er nicht nur das Sozialapostolat sondern war auch lange Zeit Provinzial.

SCHWERPUNKT 4 Meine Suche nach Jesus In der rebellischen Jugendzeit gefiel es mir, die provokanten Texte der Punkerin Nina Hagen zu hören. Die wahre Bedeutung ihrer Aussagen verstand ich oft erst viel später, zum Beispiel die Wendung „vom anderen Ufer“. In der rebellischen Jugendzeit gefiel es mir, die provokanten Texte der Punkerin Nina Hagen zu hören. Die wahre Bedeutung ihrer Aussagen verstand ich oft erst viel später, zum Beispiel die Wendung „vom anderen Ufer“. Ein Satz der Verrückten aber ist bei mir so richtig eingefahren: „Hallo Jesus, hier ist Nina.“ Daspasste gar nicht. Wie konnte sie so frechauf Jesus zugehen? Der bei mir

SCHWERPUNKT 5 in der Krippe von Betlehem steckte oder am Kreuz inJerusalem hing, dem ich mich in frommen und distanzierten Gebeten widmete? Die kecke Nina half mir, das brave Korsett des Gebetbuchs zu lockern. Was passiert, wenn ich das auch einmal versuche? Hallo Jesus, hier ist Ruth. Das gefiel mir. Je mehr ich Jesus so suchte und herbeirief, umso vertrauter wurde er mir. Ich spürte, dass er da war, meistens. Und plötzlich wollte er etwas von mir. Jahre später zog es mich als Volontärin nach Wien ins Jugendhaus der Caritas. Wir startetenein neues Projekt für Obdach- lose, den Canisibus, der jede Nacht Obdachlosen Essen und Hilfe brachte. Bei der ersten Ausfahrt nahmen wir Jugendliche aus dem Haus mit. Sie sollten uns die Plätze zeigen, wo sie einmal gehaust hatten. In der Nähe des Praters kamen wir zu abgestellten Eisenbahnwaggons. Aus der Nacht schleppten sich uns Gestalten entgegen, verwahrlost und krank. Gierig schlürften sie die warme Suppe. Dann mussten wir noch mitkommen zu einer Bauhütte. Es stank furchtbar. Mit der Taschenlampe leuchteten wir in alle Ecken, bis wir Peter sahen. Er konnte nicht gehen, weil ihm sein rechter Fuß amputiert worden war. Wir nahmen den durchnässten und schmutzigen Verband vom Kniestumpf. Da tropfte der schwarze Eiter! Ich trat einen Schritt zurück und rang nach Luft. Was tun? Mein Begleiter nahm Verbandszeug aus der Tasche. Als ich sah, wie er tapfer die Wunde abwischte, fasste ich mich wieder. Wir legten einen Verband an und stopften die alten Fetzen in einen Müllsack. Peter dankte. „Sollen wir dich in ein Spital bringen?“ Er verweigerte es, von dort sei er schon abgehauen. „Wir kommen jetzt jeden Abend und verbinden dir das Knie“, versprachen wir. Schaffe ich das, auch wenn ich da allein hingehen muss?, fragte ich mich. Da hörte ich in mir eine Stimme: Hallo Ruth, hier ist Jesus. Ich brauche dich! Ich kann das, versuchte ich mich zu ermutigen. Heute lebe ich in Transsilvanien, in der Nachbarschaft von Roma-Familien. Nahe sind mir vor allem junge Frauen, von vielen Kindern umringt, sie finden keinen Weg aus dem Elend. Wenn sie mich anschauen, sehe ich die Worte: Hier bin ich, Jesus, überfordert und geschlagen. Ich spüre, dass ich gebraucht werde. Aber ich muss Jesus oft zu Hilfe rufen: Hier bin ich, gib mir Kraft für meine Aufgabe! Mit den Frauen kommt mir Jesus entgegen. Sie kämpfen für ihre Kinder, mehr als viele Väter, die flüchten. Es ist staunenswert, wie Frauen die Sozialarbeit mittragen. Mit ihrer Freundschaft machen sie mir Mut. Dana hat sieben Kinder und einen betrunkenen Mann. Sie lacht mir entgegen. Iova bringt unsere Küche zum Glänzen, während ihr großer Sohn die Arbeit verweigert und bei den Nachbarn eingebrochen hat. Das Schönste ist, wenn wir miteinander Kaffee trinken und – auch – lästern. Wir sind Freundinnen – wie die biblische Ruth, die Fremde, die in der größten Not zu ihrer Schwiegermutter aus Juda hielt. Der Name – Ruth heißt Freundin – ist Jesus in den Stammbaum geschrieben. Er umhüllt mich mit Freundschaft. Für meine Mutter konnte ich zum 90. Ge- burtstag mit den Geschwistern aus tiefstem Herzen singen: „Jesus bleibet meine Freude, meines Herzens Trost und Saft. Jesus wehret allem Leide, er ist meines Lebens Kraft. Meiner Augen Lust und Sonne, meiner Seele Schatz und Wonne, darum lass‘ ich Jesum nicht aus dem Herzen und Gesicht.“ (Kantate von J.S.Bach)­ Ruth Zenkert wirkt seit der Bibelschule im Jahr 1984 mit P. Georg Sporschill SJ in der Sozialarbeit. 2012 gründeten sie das Werk ELIJAH für Roma- familien in Transsilvanien. Meinrad Dufner ©Katharina Gebauer

SCHWERPUNKT 6 Als Mann in Beziehung mit Jesus Wann ist ein Mann ein Mann? Meine Beziehung mit Jesus als Mann lädt mich immer wieder ein, meine eigene Vorstellung von Männlichkeit zu reflektieren. Zunächst finde ich mich gerne in Jesus dem ‚Macher‘ wieder, der sich sehr von seinem ‚Job‘ bzw. seiner Arbeit her definiert. Aber ein genauer Blick auf mein Gegenüber zeigt, dass er solche Stereotypen von Mann sein konterkariert. Erstens ist Jesus als Mann ein caretaker. Er hat sich jahrelang mit um seine höchstwahrscheinlich früh verwitwete Mutter gekümmert. Diese Fürsorge endete nicht einfach mit dem Beginn seines öffentlichen Wirkens, wie sich am Kreuz zeigt. Mit letzter Kraft stellt er dort sicher, dass seine zurückbleibende Mutter versorgt ist. Meine Erkenntnis: Ein guter (Ordens-)Mann ist auch ein caretaker, der mit der Frage nach der Vereinbarkeit von ‚Job‘ und Beziehungen zu ihm anvertrauten Menschen ringen darf und sollte. Zweitens verbinde ich mit Jesu Mannsein seine Kraft. Warum? Nun, Jesus war Handwerker. Und die beladenen Tische der Händler und Geldwechsler im Tempel fielen nicht von alleine um. Doch Jesus ist nicht einfach ein Kraftprotz. Er hat auch eine zärtliche und sensible Seite. Jesus hat keine Angst, sich von Männern und Frauen berühren zu lassen und diesen seine Schulter und Brust zum Anlehnen anzubieten. Er hat als Mann (öffentlich) geweint, z.B. am Grab seines Freundes Lazarus. Traue ich mich, im gleichen Maße stark und schwach, leidenschaftlich und zärtlich zu sein und Gefühle in ihrer gesamten Bandbreite zuzulassen? Drittens hat der Blick auf Jesu Mannsein etwas Befreiendes für mich. Jesus ist kein defizitärer Mann oder asexueller Mensch, nur weil er seine Fruchtbarkeit nicht in einer Weise (aus-) gelebt und verwirklicht hat, wie es oftmals von Männern erwartet wird. Im Gegenteil, Jesus war als Mann unglaublich fruchtbar und ‚männlich‘, nämlich als Ursprung und Begründer der Familie Gottes, die sich Kirche nennt! Jesus hat als Mann in seinem irdischen Leben durch die Sammlung von ganz unterschiedlichen Männern und Frauen die Gründung einer alternativen ‚Familie‘ angestoßen, in der die Unterschiede zwischen Mann und Frau, Juden und Griechen etc. nicht einfach verschwinden, aber doch zumindest deutlich an Wichtigkeit verlieren (sollten). Die Möglichkeit, in dieser Weise als Mann fruchtbar zu sein und gedeihen zu können, finde ich attraktiv und faszinierend. Patrick Zoll SJ ist Traumapädagoge und Dozent für Metaphysik und Politische Philosophie an der Hochschule für Philosophie in München.

SCHWERPUNKT 7 Jesus im Zentrum Die Jesusbeziehung als Provinzial Schon das neue Logo unserer Provinz macht es deutlich: Im Mittelpunkt eines Strahlenkranzes stehen die drei Buchstaben „IHS“. Es sind die ersten drei Buchstaben des griechischen Jesusnamens. Dieses Zeichen ist mir sehr kostbar und ich erlebe es als Geschenk und Auftrag zugleich. Mein Alltag als Provinzial ist vielfältig und fordernd. Mitbrüder, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Freunde, viele Menschen kommen zum Gespräch, Entscheidungen, kleine und große, wollen getroffen und umgesetzt werden, Verwaltungsangelegenheiten sind zu erledigen. Vieles sucht und braucht Aufmerksamkeit. In all dem das Zentrum – Jesus – nicht zu verlieren, zumindest nicht ganz, das ist gar nicht leicht. Aber wichtig. Jesus zum Gefährten haben Eine in unserem Orden verbreitete Lesart des IHS ist: „Iesum Habemus Socium“ – Wir haben Jesus zum Gefährten. Das IHS erinnert mich: Du hast Jesus zum Gefährten! Er ist an meiner Seite, er begleitet mich, er steht zu mir! IchmöchteinderFreundschaftmitihmwachsen. Dafür ist für mich das Gebet wichtig. Verbunden sein mit ihm, möglichst immer und überall. „Makeitrelational“,bringesinBeziehung–dieser Rat meines Instruktors im Tertiat (2004), ist mir wichtig geworden und begleitet mich. Als Provinzial ist man mit so manchem allein und manchmal auch einsam. Das ist Teil einer Leitungsaufgabe. Da tut es mir gut, Jesus in meiner Nähe zu wissen und mich in seiner. Seit Jahren praktiziere ich das Jesusgebet. Die innere Wiederholung des Namens Jesu schafft eine Verbundenheit, die mich trägt. Die Welt mit seinen Augen sehen lernen Sicher, es ist wichtig, auf Jesus zu schauen. Es ist aber genauso wichtig, so wie Jesus auf die Menschen und die Welt zu schauen. Mit welchem Blick schaue ich, was sehe ich, was nehme ich wahr? Schaue ich tiefer? Das ist alles andere als leicht. Es braucht Aufmerksamkeit, Erinnerung, Umkehr. Es braucht auch Hilfe und Hinweise von anderen. Mein Team hilft mir dabei. Den Blick Jesu einüben, um in allem, was mir begegnet, Gott zu erkennen, der zu mir spricht durch die Begegnung mit einem Menschen, durch eine glückliche Erfahrung, durch ein Missgeschick, durch Erfolg und Misserfolg, durch meine Gedanken, Worte und Handlungen. Damit rechnen, dass Gott mir nahe ist, mich anspricht, an mir handelt. IHS: Diese Buchstaben, diesen Namen, diese Person lässt Ignatius in sein Sigel eingraben, er prägt es den wichtigsten Dokumenten des Ordens auf. Das neue Logo steht auch heute auf allen Schriftstücken und Produkten. Jesus möge uns prägen, mehr und mehr! Bernhard Bürgler SJ Der 61-Jährige ist ein Experte für Spiritualität und Psychoanalyse. Nach dem Eintritt 1991 folgten eine Promotion in Theologie und eine Ausbildung zum Psychotherapeuten. Nach seiner Zeit als Provinzial in Österreich, ist er nun Provinzial der Zentraleuropäischen Provinz.

SCHWERPUNKT 8 In einer mit Stichen illustrierten Bibel aus dem Bücherschrank meiner Eltern habe ich als Kind Jesus entdeckt. Die Bilder faszinierten mich. Jesus hat mich neugierig gemacht. Erstkommunion und Firmung verstärkten später meine Beziehung zu ihm. Schließlich wurde das Zweite Vatikanische Konzil für mich zu einer prägenden Erfahrung. Ich spürte: Mein Leben als Christ musste konkret werden: So machte ich mich auf den Weg zur Nachfolge in der „Gesellschaft Jesu“. Lange Studienjahre, fünfzehn Jahre Hochschulseelsorger, Provinzial der Schweizer Jesuiten und nun wiederum fünfzehn Jahre als Kirchenrektor haben meine Beziehung zu Jesus verändert. Es waren besonders die Aufgaben der letzten Jahre als Seelsorger, als Liturge und Prediger, als geistlicher Begleiter, in denen mich die Person Jesu immer wieder herausgefordert hat. Dies vor allem auch in der Begegnung mit den Menschen, die mit ihren Fragen und Sorgen bei mir Rat und Trost suchten. Jesus, ein Freund, der mich in allen Lebenslagen begleitet, aber auch ein geheimnisvoller, nicht immer bequemer, manchmal fordernder und radikaler Jesus. Im Umgang mit den Menschen in der City- Seelsorge wurde mir je länger je mehr bewusst, dass Jesus für viele kaum mehr eine Rolle in ihrem Leben spielt. Ich wollte ihnen nahe sein und sah meine Aufgabe darin, das Evangelium so zu verkünden, dass sie es verstehen und annehmen konnten. Leichter gesagt als getan! Schließlich begriff ich, dass nicht ich ihnen Jesus nahebrachte, sondern dass sie mir Jesus näherbrachten und ich in ihnen Jesus begegnete. Das war für mich eine Umkehrung der Perspektive. Diese Erfahrung wird wohl jede und jeder machen, wo immer auch Jesus verkündet wird, sei es in unseren wohlhabenden, säkularisierten westlichen Zivilisation, sei es bei den Menschen der südlichen Hemisphäre, die unter völlig anderen Lebensbedingungen ihren Glauben zu leben versuchen. So hat mich Jesus den Mitmenschen nahegebracht und mich mir selber. Er lehrt mich, was es heißt, Mensch zu sein. Wer ist Jesus für mich? – Petrus gibt die Antwort: „Du bist der Messias; der Sohn des lebendigen Gottes.“ – Ich für meinen Teil bin mit der Frage nach Jesus und meiner persönlichen Antwort darauf zu keinem Abschluss gekommen. Wir sind miteinander unterwegs und es gibt bei ihm noch vieles zu entdecken. Wie meine Sendung die Beziehung Hansruedi Kleiber SJ (*1948), 1968 Eintritt in die SJ. 1983 Hochschulseelsorger, Provinzial der Schweizer Jesuiten, Kirchenrektor der Jesuitenkirche Luzern. Er lehrt mich was es heißt Mensch zu sein.

SCHWERPUNKT 9 Seit Beginn meiner Sendung nach Sambia komme ich immer wieder an meine Grenzen. Das ist schmerzhaft und anstrengend, aber es ist auch der Ort, wo ich Jesus begegne. Ich muss oft an eine Bemerkung von P. Adolfo Nicholas SJ denken, die er in einem Interview zum Ende seiner Zeit als Generaloberer der Jesuiten gemacht hat. Er greift dabei das Wort Jesu auf: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!“ und wendet es auf die Kontinente an: Für Asien ist der Weg bezeichnend, Europa und Nordamerika geht es um die Wahrheit, während Afrika und Lateinamerika das Leben in den Vordergrund stellen. Wir brauchen alle, um zur Fülle Christi zu gelangen. Ich bin ein Kind Europas: Anfangs war es irritierend, wenn ich den Eindruck hatte, dass die Menschen mir Sachen sagen, wovon sie denken, dass ich es hören möchte. Dann wurde ich zunehmend aggressiv, als ich merkte, dass das auch benutzt wird, um Dinge zu kaschieren. Mein Geduldsfaden ist in diesen Momenten extrem dünn. Ich fühle mich dann Jesus nahe, wie er verraten wurde. Er hat aber bis zuletzt nicht aufgehört, für Judas zu hoffen. Auf der anderen Seite, werde ich immer wieder selbst evangelisiert, wenn ich sehe wie die Menschen trotz so vieler Probleme glücklich sind, die Hoffnung nicht verlieren und geduldig bleiben. Da ist die Freude und das Leben Jesu spürbar. Mir selbst gelingt das nicht so gut. Diese Begegnungen flößen Demut ein. Ich bin ein Sünder unter Sündern. Wir sind auf das Erbarmen Gottes angewiesen. Als City-Seelsorger in der Schweiz würde ich meine Christus-Beziehung wahrscheinlich nicht viel anders leben. Auch dort macht man Grenzerfahrungen, aber die Grenzlinien verlaufen anders. Die Kirche in Europa ist in einer Zeit der Bedrängnis von Innen und von Außen und viele Menschen leben unter extrem viel Druck. Wie würde sich Jesus positionieren? Ich bete immer wieder für die Kirche und die Menschen in Europa, dass sie in dieser Zeit Jesus nicht aus den Augen verlieren und dass er hilft. In meiner Arbeit in Sambia geht es um das Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Ökologie, sozialer Gerechtigkeit und Versöhnung der Kulturen. Gemeinsam mit den Menschen hier versuchen wir eine Lebensweise zu finden, die Jesus gutheißen würde. Wir haben immer wieder eine unterschiedliche Perspektive und manchmal versteht man nicht warum. Jesus war demütig aber gleichzeitig klar und entschieden – manchmal auch emotional. Er hat aber nie aufgehört auf die Menschen zuzugehen und sie einzuladen. zu Jesus verändert P. Claus Recktenwald SJ Agrarwissenschaftler im Kasisi Agricultural Training Center in Sambia. Arbeitet mit Kleinbauern im Bereich Ökolandbau. Ich bin ein Kind Europas

SCHWERPUNKT 10 Jugend und Jesus Den Startpunkt für meine Beziehung zu Jesus sehe ich in meiner Heimatpfarrei Sankt Antonius in Potsdam-Babelsberg. In einer Stadt mit nur ca. 20 Prozent Kirchenmitgliedern war diese Gemeinde für mich immer ein besonderer Ort, und zwar ein besonders schöner und prägender Ort! Hier durfte ich eine ganze Reihe von Menschen kennenlernen, deren Leben tief von der Botschaft Jesu geprägt war. Vor allem in der Ministrantengruppe der Pfarrei und auf den jährlichen Religiösen Kinderwochen machten diese Menschen mir auf ganz unterschiedliche Weise Mut und Lust, mich mehr und mehr der Botschaft Jesu zu öffnen. Sie ist nun das Fundament vieler meiner Wertmaßstäbe. Vor allem entnehme ich der Botschaft Jesu eine wichtige Erkenntnis: Du bist gewollt. Besonders als junger Mensch war es für mich wichtig zu wissen, einen Platz in dieser Welt zu haben. Gott hat etwas Bestimmtes mit mir vor und Jesu Botschaft rüttelt mich dazu auf, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Dieser persönliche Zuspruch trägt mich in den langen Phasen des Alltags, in den Glücksmomenten und auch in den Tiefpunkten. Mein Lebensweg führte mich im Jahr 2018 an das Canisius Kolleg (CK) in Berlin. Ich finde sehr schön, dass hier die religiöse Dimension des Lebens dazugehört. Ich staune über das große Engagement und die Begeisterung der Schülerschaft für die Ignatianische Gemeinschaft (ISG), genieße die Prägung des Schulalltages durch das Kirchenjahr, das Innehalten in den Gottesdiensten und in den Klassengebeten und komme gerne mit meiner Schülerschaft über Gott und die Welt ins Gespräch. Dabei fällt mir auf, dass die Schülerinnen und Schüler des CKs religiös sehr unterschiedlich geprägt sind. Einige besuchen wie ich wöchentlich den Gottesdienst und nehmen aktiv am Gemeindeleben teil, viele haben jedoch nur eine lose Verbindung zur Kirche oder bezeichnen sich selbst als nicht-religiös. Durch die Etablierung des neuen Arrupe-Zweiges gehört zudem eine wachsende Schülergruppe mit muslimischem Glauben dazu. Auffallend ist eine allgemeine Wachheit für moralische Fragen. Fragen wie „Dürfen wir überhaupt noch Fleisch essen?“, „Wie vermeide ich Plastikmüll?“ und „Sind Frauen und Männer tatsächlich gleichgestellt?“ scheinen vielen jungen Menschen geradezu unter den Nägeln zu brennen. Durch den Austausch mit meinen Schülerinnen und Schülern berühren derartige Fragen dann auch meine eigenen Wertmaßstäbe und regen mich immer wieder neu dazu an, Jesu Worte aus einem anderen Blickwinkel wahrzunehmen. Vor allem erfährt die Botschaft Jesu durch meine Arbeit mit jungen Menschen am CK jedoch eine zusätzliche Bedeutung. Sie ist nun Zuspruch und Anspruch zugleich. Denn wenn Gott etwas Bestimmtes für mich vorgesehen hat, dann hat er sich garantiert auch etwas für jede/n meiner Schülerinnen und Schüler einfallen lassen. Als Lehrer wird mir dabei eine wunderbare Aufgabe zuteil. Ich darf Menschen, die sich in einer weichenstellenden Phase ihres Lebens befinden, auf ihrer spannenden Suche begleiten und im Optimalfall dazu beitragen, hierfür erforderliche Talente herauszufördern. Nach nicht einmal drei Jahren am CK kann ich über manch Metamorphose, die ich unter den Schülerinnen und Schülern beobachten durfte, nur staunen. Und auch wenn manchmal misslungene Schulstunden, unschöne Meinrad Dufner ©Katharina Gebauer

SCHWERPUNKT 11 Konfliktsituationen oder nächtliche Korrigierarbeiten dazu anstiften, die Schönheit dieser Aufgabe vergessen zu lassen, siegt am Ende immer wieder die Dankbarkeit. In solchen Momenten der Dankbarkeit denke ich dann gern an die Menschen zurück, die mich in meiner Kindheit und Jugend den Zuspruch Jesu erfahren haben lassen. Jonas Bunzel Geboren 1989 in Potsdam, 2009 Abitur am Evangelischen Gymnasium Potsdam-Hermannswerder, 2009 - 2015 Studium in Jena, Erfurt und Rom, seit 2018 Lehrer für Latein und Geschichte am Canisius Kolleg in Berlin

SCHWERPUNKT 12 Vor meinem Eintritt in den Jesuitenorden, hatte mich schon das Buch von Guardini „Der Herr“ fasziniert. Mein Heimatpfarrer gab mir das Wort mit - „Wer die Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist meiner nicht wert.“ Im Noviziat wurde ich durch die tägliche Meditation und die Großen Exerzitien mehr mit dem Weg Jesu vertraut, so dass ich es wagte, mit ihm zu den Jesuiten zu gehen. Während des Philosophiestudiums wurde der Kreuzweg wichtig für mich, der mich geerdet hat. Das TheologiestudiumführtemichzumPriestertum, das mich durch die tägliche Feier der Eucharistie und des Breviergebets in Dienst nahm. In einer Meditationsleiterausbildung begegnete ich dem Zen, dem Leer-Werden in der Stille, die ich in der Selbstentäußerung Jesu bis zum Kreuz wiederfand. Das führte mich auch durch P. Jalics zum Jesusgebet. Meine Beziehung zu Jesus wurde geprägt durch meine jesuitische Ordensexistenz und den Aufgaben, Sendungen, die mir aufgetragen wurden, als konkrete Form des Gehorsams: Gruppenbegleiter in der action 365 (Jesus stiftet Gemeinschaften) – Krankenseelsorger in Göttingen (Jesus als der Begleitende in der Krankensalbung) – Priesterseelsorger – Exerzitienbegleiter – Hausoberer (in Kladow mit der täglichen Messe in Gemeinschaft der Mitbrüder, die nicht mehr selbst am Altar stehen können und dem Rosenkranzgebet, besonders in der Begleitung unserer Verstorbenen.) „Freunde habe ich Euch genannt.“ (Jo. 15,16.) Diesen Satz habe ich natürlich von Jugend auf gekannt. Doch es war ein eher theoretisches Wissen. Als ich nämlich vor kurzem für gute Freunde gebetet und zu diesem Zweck eine Liste von ihnen angefertigt habe, war der Name von Jesus zunächst nicht dabei. Lange Zeit in meinem Leben war Jesus eher eine Person, die entweder im goldenen Himmel oder in einem goldenen Kasten in der Kirche wohnte, und vor der man in großer Ehrfurcht die Knie beugen sollte. Meine Beziehung zu Jesus hat sich vor allem anhand jener theologischen Aussagen verändert, die oft in den Kirchengebeten vorkommen. Wie oft beten wir, dass Jesus für uns vom Himmel herabgestiegen ist, dass er für uns gelitten hat und für uns gestorben ist. An dieser Formel soll sich auch nichts ändern. Mir aber ist ein anderes Beziehungswort immer wichtiger geworden; nämlich: dass Jesus nicht nur für uns, sondern vor allem mit uns durch dieses Leben gegangen ist, dass er nicht nur für uns sondern mit uns die Leiden dieser Welt und den Tod von uns Menschen auf sich genommen hat. So sind für mich zwei Worte gleichsam zu Geschwistern geworden, nämlich das 2.700 Jahre alte Wort vom Emmanuel, Gott mit uns, und das modernere Wort von der Solidarität. Immer mehr verehre ich Jesus als jemand, der als guter Freund mit uns, ja mit mir durch dieses Leben geht. Über alle Höhen und durch alle Tiefen. Gundikar Hock SJ 1936 Geboren, 1962 Eintritt in das Noviziat der Jesuiten. Er arbeitete u.a. in der action 365, war Krankenhausseelsorger und begleitet Exerzitien. P. Josef Übelmesser Genannt Joe, 1950 Eintritt in den Orden. 1960 nach Theologiestudium in Indien. Bis 2000 Missionsprokurator. Meinrad Dufner ©Katharina Gebauer Verschiedene Lebensphasen, verschiedene Jesusbilder

SCHWERPUNKT 13

SCHWERPUNKT 14 Was bedeutet mir Jesus? Anette Leyendecker Assistentin des Provinzials, München „Jesus gehört zu meinem Leben; er ist da, wann immer ich ihn brauche, aber mehr noch: er ist da, auch wenn ich meine, ihn gerade nicht zu brauchen.“ Jacqueline Curnis Spendenverwalterin, Stiftung Jesuiten weltweit Schweiz Jesus ist für mich die Brücke zu Gott. Rasa Darbutait Öffentlichkeitsarbeit, Vilnius Jesus ist für mich Einer, der mich immer wieder neu zu einem liebenden Blick auf Ihn, auf andere Menschen und auf mich selbst herausfordert. Ulf Jonsson SJ Chefredakteur „Signum“, Professor am „Newmaninstitut“, Uppsala Jesus ist für mich das Angesicht Gottes in der Welt: Er macht den unsichtbaren Schöpfer des Universums sichtbar. Robert Deinhammer SJ Dozent für Philosophie, Innsbruck An Jesus, als den menschgewordenen Sohn Gottes, glauben, heißt, aufgrund seines Wortes sich selber (und die ganze Schöpfung) zusammen mit ihm und nach seinem Maß vom Vater geliebt zu wissen, also erfüllt zu sein vom Heiligen Geist, und deshalb nicht unter der Macht derjenigen Angst leben zu müssen, die uns sonst immer wieder unfrei und unmenschlich werden lässt.

SCHWERPUNKT 15 Fabian Retschke SJ Ignatianische Schüler*innen- Gemeinschaft am Canisius-Kolleg, Berlin Jesus ist für mich wie ein Feldarzt, der überall die Verwundeten sieht und für sie sorgt. Maya Widmann 16 Jahre, mk-Innsbruck, Firmling Jesus ist für mich wie die Bestätigung, dass Gott über uns wacht. Er hat uns gezeigt, dass Gott in uns und unserem Glauben existiert. Rafael Fiechter 15 Jahre, mk-Innsbruck, Firmling Jesus ist für mich jemand, der vor 2000 Jahren lebte und gut reden und motivieren konnte. Emilie Mayer-Rieckh 15 Jahre, mk-Innsbruck, Firmling Jesus ist für mich ein Vorbild in Nächs- tenliebe und Stärke. Wir alle können etwas für die Menschheit tun, indem wir Jesus als unser Leitbild sehen. Birgit Buchberger Lehrerin (Chemie, Mathematik) am Aloisianum, Linz Jesus ist mir Wegbegleiter, der mich stützt und trägt, wenn der Weg ausgesetzt und unpassierbar scheint und der mir wohlwollend aber auch kritisch bei meinen Reflexionen und Entscheidungsfindungen beisteht.

SCHWERPUNKT 16

SCHWERPUNKT 17 Meinrad Dufner ©Katharina Gebauer Donatas Kuzmickas SJ 29 Jahre alt, arbeitet am Gymnasium der Jesuiten in Kaunas und begleitet eine Gruppe von jungen Erwachsenen (Magis-Klub). Auf der Suche nach Sinn In der Familie von Donatas Kuzimickas SJ wurde kaum über Glauben gesprochen. Lange Zeit hat er sein Glück daher anderswo gesucht. Im Interview berichtet er über seine Suche nach Sinn in der Populärpsychologie, im Buddhismus und in den „Freunden der Welt“. Donatas, hattest du in dieser Zeit (k)eine Beziehung zu Jesus? Ich erinnere mich, dass es eine Zeit war, in der ich mich nach dem Sinn des Lebens fragte und nach innerem Frieden sehnte. In dieser Lebensphase habe ich verschiedenes ausprobiert, um diese Sehnsucht zu stillen. Das hat mich einerseits Wesentliches gelehrt, andererseits war es für mich einfach nicht genug. Ich kann nicht sagen, dass ich damals eine Beziehung mit Jesus hatte. Nichtsdestotrotz betete ich abends immer das ,,Vater unser“, das mir meine Großmutter beigebracht hatte. Eine Begegnung mit einer christlichen Frau im Möbelgeschäft, wo du gearbeitet hast, entfachte in dir ein großes Interesse an Jesus. Wieso war diese Begegnung so wichtig für deinen Glauben? Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben einer Person begegnet, die so glaubwürdig ihre Beziehung mit Christus bezeugt hat. Zum ersten Mal hörte ich von der Barmherzigkeit Gottes und es hat mich tief getroffen. Irgendwie habe ich gespürt, dass, was sie mir über Jesus erzählte, die Wahrheit war. Gott hat in mir den Samen des Glaubens gepflanzt, der langsam, Schritt für Schritt gewachsen ist. Ich werde mein ganzes Leben lang für diese Begegnung dankbar sein. Irgendwann hast du begonnen, Freude daran zu haben, Gott noch mehr zu suchen. Inwiefern hilft dir deine Beziehung zu Jesus dabei? Nach der Begegnung mit dieser Frau reifte in mir der Wunsch, Gott besser kennen zu lernen. Dieser Wunsch brachte mich bis in den Beichtstuhl. Es war ein besonderer Moment. Ich bin der Barmherzigkeit Gottes begegnet. Danach war es für mich klar, dass mein Leben nicht mehr dasselbe wie vorher sein würde. Die Beziehung mit Jesus hat mir sehr viel Freude bereitet und Er gibt mir die Kraft, diese Freude auch mit anderen zu teilen. Wie haben die geistlichen Übungen von Ignatius von Loyola dazu beigetragen, deine Sehnsucht nach Jesus zu vertiefen? Ignatius hat mir neue Wege gezeigt, wie man Jesus durch die Heilige Schrift begegnen kann. Er empfiehlt, ins Gebet auch Gefühle, Sinne und Vorstellungskraft mit einzubeziehen. Mir scheint, dass er eine ganz praktische und gleichzeitig auch sehr kreative Person war. Es gibt noch sehr viel, was ich von ihm lernen kann.

SCHWERPUNKT 18 Jesus der Jude Amy-Jill Levine ist Professorin für Neues Testament an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. 2019 hielt sie eine Lehrveranstaltung am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom. Noch nie zuvor hatte ein Wissenschaftler jüdischen Glaubens dort Neues Testament unterrichtet. P. Dominik Markl SJ, Professor für Altes Testament am Biblicum, hat mit ihr über Jesus gesprochen. AJ, als Kind, vermute ich, warst du ein aufgewecktes jüdisches Mädchen, aber warum hast du dich für das Christentum interessiert? Ich bin in Massachusetts aufgewachsen. Die meisten meiner Freunde kamen aus Familien portugiesischer Einwanderer und waren katholisch. Ich bin mit ihnen in die Kirche gegangen, meine Eltern waren sehr aufgeschlossen. Ich wäre auch gern zur Erstkommunion gegangen – vor allem wegen des Kleides! Einmal sagte ich zu meiner Mutter, ich würde gerne Papst werden. Sie sagte, das geht leider nicht. Warum? Weil du keine Italienerin bist! Eines Tages sagte ein Mädchen aus meiner Klasse im Schulbus zu mir, „Du hast unseren Herrn Jesus umgebracht!“ „Nein, das habe ich nicht.“ „Doch, das hat unser Priester gesagt!“ Als meine Mutter zuhause fragte, warum ich so weinte, sagte ich, weil ich Gott umgebracht habe. Sie sagte, dem lieben Gott gehe es ganz gut. Eine große Erleichterung! Das war übrigens die einzige antijüdische Aussage, die ich als Kind erlebt habe, und der Priester wurde zurechtgewiesen. Bald danach wurde beim Zweiten Vatikanischen Konzil im Dokument Nostra aetate klargestellt, dass nicht „die Juden“ für den Tod Jesu beschuldigt werden dürfen. Jedenfalls wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Ich habe beim Katechismusunterricht teilgenommen und schließlich Neues Testament studiert. Wer ist Jesus für dich? Als Jüdin bin ich manchmal stolz auf Jesus. Ich verehre ihn nicht im religiösen Sinn, denn mein Herz ist ganz und gar mit meiner eigenen jüdischen Tradition erfüllt, aber ich finde seine Lehren oft tiefgründig und inspirierend. Dann denke ich mir, er ist einer von uns. Warum ist das Neue Testament für Juden interessant? Viele Juden kennen das Neue Testament nicht, und manche würden sich scheuen, es zu lesen. Aber es ist eine sehr wichtige Quelle für jüdisches Leben in Galiläa, Judäa und in

SCHWERPUNKT 19 der Diaspora im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Die Mutter Jesu, die Jünger, die ersten Christen waren alle Juden. Der einzige pharisäische Jude, von dem wir Texte besitzen, ist Paulus von Tarsus. Um Juden einen besseren Zugang zum Neuen Testament zu ermöglichen, habe ich mit meinem Kollegen Marc Zvi Brettler das Jewish Annotated New Testament herausgegeben. Das ist die erste von jüdischen Experten kommentierte Version des Neuen Testaments. Ich bin stolz darauf, dass wir diese Ausgabe Papst Franziskus persönlich übergeben konnten. Dieses Jahr soll auch eine deutsche Übersetzung erscheinen. Was sind deine schönsten Erlebnisse beim Lesen des Neuen Testaments? Ich unterrichte Universitätskurse zum Neuen Testament in einem Hochsicherheitsgefängnis in Nashville. Wenn Männer, die 30 oder 40 Jahre im Gefängnis gesessen sind, über das Evangelium reflektieren, sehe ich, wie diese Texte noch heute, nach 2000 Jahren, zu uns sprechen. Können Christen von Juden etwas über Jesus lernen? Sicher. Jesus lebte in der Welt der jüdischen Traditionen. Ich habe öfter Kurse mit Katholiken, dann lesen wir zum Beispiel das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Die Geschichte beginnt mit einem Vater, der zwei Söhne hatte. Wenn wir das als Juden hören, denken wir sofort an die Erzählungen von Kain und Abel, Ismael und Isaak, Esau und Jakob. Da bekommt das Gleichnis vom verlorenen Sohn einen neuen Klang und meine katholischen Freunde sagen dann oft, daran haben wir noch gar nicht gedacht. Was für ein Verhältnis hatte Jesus zu Frauen? Im Neuen Testament sieht man, dass jüdische Frauen zur Zeit Jesu recht große Freiheiten besaßen. Sie hatten Besitz und verfügten über ihr Eigentum, wie etwa die Frau, die an Blutungen litt und viele Ärzte konsultierte. Frauen reisen selbständig wie Maria, die Elisabeth besucht. Jesus trifft Frauen in Synagogen und im Tempel. Jesus ist kein Sozialrevolutionär in seinem Verhalten gegenüber Frauen, aber er begegnet ihnen angstfrei, wenn er mit ihnen spricht oder sie heilt. Darin folgt er den Propheten Elija und Elischa. Wenn du Jesus treffen würdest, was würdest du ihn fragen? Was hoffte er zu erreichen in seinem Leben? Was dachte er, als er gestorben ist? Ich würde ihn bitten, etwas zum bleibenden Bund mit dem jüdischen Volk zu sagen (Röm 11,26-29). Und wie können Juden und Christen trotz unterschiedlicher theologischer Ansichten gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden wirksam werden?

SCHWERPUNKT 20 Spiritualität mit und ohne Jesus Mein Glaube hat, als ich Anfang 20 gewesen bin, mit der Liebe zu Jesus begonnen. Bei einem Gottesdienst einer evangelikal- charismatischen Gemeinschaft, zu der mich ein Freund mitgenommen hatte, hatte ich ein Bekehrungserlebnis, das ich damals nicht anders deuten konnte als die Erfahrung einer umfassenden Liebe und Geborgenheit, die in Jesus ihren Ursprung hat. Auch wenn mittlerweile über vierzig Jahre vergangen sind, lebe ich im Wesentlichen noch immer aus dieser Erfahrung. Freilich haben sich mein Glaube und meine Liebe in den Jahren weiterentwickelt. Dabei sind es vor allem neue Lebenserfahrungen gewesen, die zu neuen Deutungen und einem neuen Verständnis meines Glaubens geführt haben. Zunächst hat mich das überrascht, aber es ist eigentlich klar: Mit den vielen neuen Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen, ändern sich ja auch unsere menschlichen Beziehungen und unser Verständnis der Beziehungen. Und von diesem Wandel ist auch die Liebe zu Gott nicht ausgenommen. Wir lernen Gott immer wieder neu kennen. Wir suchen und finden Gott an Orten, die uns in früheren Phasen unseres Lebens unvorstellbar gewesen sind. Das ist mir in den letzten zehn Jahren besonders deutlich geworden, seitdem ich das Institut für Philosophie und Leadership gegründet habe und Führungskräfte im Topmanagement, aber auch junge Gründerinnen und Start-upler, Söhne und Töchter von Familienunternehmen fortbilde und begleite. Für unsere Arbeit am Institut haben wir uns angeschaut, wie wir Jesuiten uns im Orden selbst ausbilden. Was sind wichtige Schritte im Noviziat, wenn junge oder mittlerweile auch nicht mehr ganz so junge Männer zu uns kommen und nach Gottes Willen für ihr Leben fragen? Was hat sich im Terziat bewährt, wenn Jesuiten viele Jahre nach ihrem Ordenseintritt noch einmal ganz bewusst auf ihr Leben zurückschauen, Bilanz ziehen, um danach mit neuer Klarheit und Kraft apostolisch tätig zu sein? Schnell wurde uns klar: Im Zentrum von allem stehen die Exerzitien, die Meditation, das Gebet. Unsere Spiritualität ist das Herzstück unserer Identität. Es ist das Beste und Wertvollste, das wir vermitteln können. Aber, so haben wir uns gefragt, wie soll das gehen? Meditieren, wenn man nicht an Gott glaubt? Denn auch wenn im Topmanagement großer Konzerne noch viele zumindest biografisch mit dem christlichen Glauben und einer Kirche zu tun hatten: Die jungen Leute, die wir ausbilden und die nahezu alle von einem naturwissenschaftlich-technischen Hintergrund

SCHWERPUNKT 21 herkommen, haben es in der Regel nicht mehr. Selbst wenn sie in Bayern aufgewachsen sind. Bei der Suche nach Formen der Vermittlung der Spiritualität des Jesuitenordens kam uns sicherlich entgegen, dass viele junge Menschen für Meditation und Spiritualität ausgesprochen offen sind. Meditiert wird heute nicht nur in Exerzitienhäusern und Klöstern, sondern auch in Yogastudios und in großen Wirtschaftsunternehmen. Allein die Anzahl der Apps, die einen in die Meditation einführen, ist unüberschaubar groß geworden. Vieles ist nicht seriös, und erst langsam beginnt sich die Spreu vom Weizen zu trennen. Umso wichtiger erscheint mir unsere Aufgabe zu sein. Zwei Erfahrungen haben meine eigene Spiritualität dabei besonders geprägt. Zum einen, dass sich Übungen, die ich in einem religiösen Rahmen kennengelernt und dann auch viele Jahre selbst weitergegeben habe, auch außerhalb dieses Rahmens in einer anderen Sprache als der religiösen vermitteln lassen. Nach Gottes Willen zu fragen ist vielen unverständlich; aber danach zu fragen, was ein Leben erfüllt und sinnvoll werden lässt, trifft auf eine Sehnsucht, die viele Menschen haben. Zum anderen, dass sich die Wirkungen der Meditationsübungen für diejenigen, die sich existentiell darauf einlassen, wenig von den Wirkungen der Übungen in religiösem Kontext unterscheiden. Was wächst, ist die innere Freiheit, eine tiefe Bejahung des Lebens und eine Liebe, die immer umfassender wird. Und die Bereitschaft für das, was man liebt, zu leiden. „Es ist gut, in eine Religion hineingeboren zu werden und in ihr aufzuwachsen, aber es ist schlecht in ihr zu sterben“ hat mir ein Jesuit vor vielen Jahren mit auf meinen Weg gegeben. An diesen Satz denke ich oft zurück, weil er mir sehr geholfen hat. Damit wollte er natürlich nicht sagen, dass möglichst viele Menschen im Alter aus der Kirche austreten sollten. Aber so hilfreich eine konkrete Religion mit ihrer eigenen Sprache, ihren Bildern und Symbolen ist, um unser Herz zu formen und unserer Sehnsucht eine Richtung zu geben, so wichtig kann es doch sein, die Bilder als Bilder zu erkennen und immer tiefer in die Realität dessen hineinzuwachsen, was die Bilder bezeichnen wollen. Das gilt selbst für Jesus, von dem es heißt, er sei ein Bild des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15) und wer ihn sehe, der sehe den Vater (Joh 14,9). An meiner Liebe ändert das nichts, aber ich ahne, dass sie auf etwas viel Größeres und Umfassenderes zielt. Michael Bordt SJ arbeitet als Professor an der Hochschule für Philosophie und ist Vorstand des Instituts für Philosophie und Leadership.

22 Es wird schon In manchen Sätzen steckt ein ‚werden‘, das einfach nur auf die Zukunft verweist: Im Sommer werden die Museen wieder öffnen. Irgendwann werden wir wieder Hände schütteln. Aber es gibt auch ein ‚werden‘, das grundlegend und lebensvoll in der Gegenwart geschieht. Schönes Beispiel ist der Frühling. Wenn wir den Knospen beim Sprießen zuschauen können, wenn braune Büsche sich in blühende Bälle verwandeln und tot wirkende Bäume plötzlich doch grünes Leben hervorbringen, dann spüren wir die Natur in ihrer vollen Werde-Phase. Wir sprechen als Christen von Menschwerdung und dürfen den Begriff auf jede und jeden von uns übertragen: Werde, der du bist. Werde, die du bist. Immer mehr. Gott hat Leben in uns gelegt, das sich entfalten darf. Selig der Mensch, der es zulassen kann. Freilich ist werdendes Leben immer gefährdet: Wenn Blüten nochmal Frost abbekommen. Wenn Kinder Schlimmes erleben müssen. Wenn vorsichtige Aufbrüche unter Lawinen von Einwänden ersticken: weil es ja ohnehin nichts bringt, weil das Bisherige doch so gut war, weil Dämme brechen könnten, … All das schränkt ein und verhindert. Der ignatianische Begriff der Indifferenz lässt sich mit ‚innerer Freiheit‘ übersetzen. Interessant ist, dass Ignatius dieses Wort nie verwendet, sondern von ‚hacernos indifferentes‘ spricht: uns frei machen. Innere Freiheit haben wir nie fest in der Tasche. Es ist eine Haltung, die stets nur im Werde-Modus ihre Kraft entfalten kann. Immer neu freier werden wollen: vor jedem Projekt, angesichts jeder Herausforderung, um mit weniger Vorbehalten und in größerer Offenheit die Möglichkeiten sehen zu können, die sich auftun, um dann die bessere, geist-reichere zu wählen – persönlich und gemeinsam. Auch unsere Gottesbeziehung ist nicht statisch haltbar, sondern nur immer neu zu suchen. „Er will dein Gott werden … und du möchtest ein Volk werden, das ihm, dem Herrn, deinem Gott, heilig ist.“ (Dtn 26,17.19) Der Heilige Geist – gleichsam als göttliches Werde-Prinzip und Neuschaffungskraft ähnlich der Liebe, die in der Begegnung neue Frucht hervorbringt – ist über unsere Denk-Grenzen und Ist-Stand-Bemühungen hinaus immer schon am Wirken. Es wäre bitter, wenn die Kirche (wir) von heute in all ihrem berechtigten Ringen um strittige Fragen und feststeckende Probleme übersehen würde, dass dieser Geist jetzt und immer schon längst dabei ist, sanft und oft unscheinbar die Kirche von morgen entstehen zu lassen an Stellen, wo möglicherweise institutionelle und sitzungsmüde Augen nicht so leicht und lange hinschauen. Da sind auch heute junge Menschen, die nach dem Sinn in ihrem Leben fragen und das in Beziehung bringen zum Glauben oder zum Evangelium von Jesus Christus. Auch heute hoffen Menschen auf den Segen Gottes, weil er ihnen etwas bedeutet. Einzelne und Gruppen bleiben mit einer Prise Glaubens-Salz unterwegs und engagieren sich in spirituellen, pastoraWerden, das ist die Lösung! Oder am Ende gar – Erlösung. Meinrad Dufner ©Katharina Gebauer Geistlicher Impuls

GEISTLICHER IMPULS 23 len, sozialen oder ökologischen Projekten. Ältere setzen mit schwindenden eigenen Kräften doch mehr auf wachsendes Gottvertrauen. Wer Ohren hat zu hören, der höre. Es gibt so viel zu sehen, so viel zu spüren, so viel zu würdigen, was schon am Werden ist. Wir brauchen dafür ein wenig mehr Zeit und Aufmerksamkeit als für Kritik und Klage. Ohne die Augen vor Schwierigkeiten zu verschließen oder wegen ihnen auszusteigen darf sich der Blick des geistlichen Menschen täglich bewusst weiten hinein in eine neue Achtsamkeit. Werden, das ist die Losung! – war 2020 das Thema einer Kunstausstellung im Ernst Barlach Haus in Hamburg – ein Wort des Künstlers von 1926 aufgreifend. Wir könnten variieren: Werden, das ist die Lösung! Oder am Ende gar – Erlösung. Thomas Hollweck SJ Novizenmeister ist Pater Thomas Hollweck SJ seit 1. Juli 2015 und nun mit der neuen Provinz auch Delegat für junge Menschen und Berufung. Der gebürtige Oberpfälzer ist 1992 in die Gesellschaft Jesu eingetreten.

24 Lukas Ambraziejus SJ Gemeinsam gegen Corona Wir Jesuiten in Vilnius haben in der Quarantäne eigentlich ganz komfortabel in einem großen, fröhlichen Haushalt gelebt. Wir hatten immer die Möglichkeit ins Freie zu gehen. Dennoch erlebte ich diese Privilegien auch als Verlust: Ich teilte mit meinen Schwestern und Brüdern nicht die Last der Situation. Meine Welt war klein, aber mir wurde klar: Im Ausnahmezustand einer Pflegestation würde ich über Gottes Gegenwart mehr erfahren als in meinem aufgeräumten Zimmer. So entschloss ich mich, im Coronavirus-Hotspot Marijampolė, später dann in einem Sozialpflegeheim in Utena, ehrenamtlich tätig zu sein. Das ist jetzt mehr als fünf Monate her. Es gab einen konkreten Hilferuf: Als Ende November der Coronavirus das Pflegeheim Sankt Maria erreichte, wurden sofort ein Dutzend Krankenpfleger und fast alle 40 Heimbewohner krank. Fiebrige Krankenschwestern mussten im Bett bleiben. Kranke Bewohner blieben ohne lebenswichtige Pflege. Als ich ankam, wurde ich in einem Gästehaus mit anderen Freiwilligen untergebracht. Mehrere Freiwillige anderer Ordensgemeinschaft waren bereits abgereist, weil sie sich mit dem Virus angesteckt hatten. Alles fühlte sich an wie die Ankunft auf einem Schlachtfeld. Was macht eigentlich …? Bilder: © SJ

WAS MACHT EIGENTLICH...? 25 Morgens wurde ich direkt für eine 24-Stunden-Schicht eingeteilt und mir wurde gezeigt, wie genau ich die Schichten der Schutzkleidung anziehen muss. Alle verbleibenden Bewohner waren durch das Virus geschwächt und auf Pflege angewiesen. Bei Arbeiten wie dem Wechsel der Bettwäsche begann der Schweiß sofort am Körper herunter zu laufen, da die Anzüge völlig luftundurchlässig sind. Die Visiere stoppen die Luftzirkulation. Die Schutzbrille beschlägt ständig. Nach einigen Stunden beginnt die Haut an den Ohren und Wangen zu brennen. Viel schlimmer aber war der Anblick der Schwerkranken. Und dennoch: Ich fühlte mich in der Arbeit glücklich. Jedes Gefühl von Trägheit oder Unzulänglichkeit verflüchtigte sich. Ich spürte klar in meinem Herzen: Gott ist mit mir. Die ganze Zeit konnte ich die heilige Kommunion nicht empfangen. Aber selbst das machte mich glücklich. Ich war einer von Millionen Menschen, die wegen geschlossener Kirchen keinen Zugang zu den Sakramenten hatten. Es war gut, die Gemeinschaft mit den Ordensschwestern zu teilen. Mit ihnen führten wir abends lange Gespräche. Aus der Zeit nehme ich unvergessliche Momente mit nach Hause: das beharrliche Gebet einer nahezu bewusstlosen alten Dame: „Mein Gott, rette mich, mein Gott, rette mich“. Meine Geburtstagsfeier mit den Arbeitskollegen mit 25 Maronen und Kerzen. Eine tiefe Begegnung nur durch Blicke mit einer Ordensschwester, die nicht mehr sprechen konnte. Mein eigenes Gebet am Leichnam einer Frau, die während meiner Nachtschicht verstorben war. Obwohl ich an beiden Einsatzorten sehr kranken Menschen auch ohne Schutzausrüstung sehr nah kam, bin ich selbst niemals krank geworden. Weihnachten verbrachte ich isoliert in einem kleinen Raum. Auf eine sehr reale Weise war ich ganz nahe bei all den alten Menschen, die während Corona ohne Besuch allein blieben. Den ausführlichen Bericht über sein Covid- Ehrenamt in der Pflege finden Sie hier:

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