SCHWERPUNKT 9 sie und wirft sie ins Wasser. Ein anderer fischt sie wieder heraus, gibt sie dem Jesuiten zurück und lädt ihn ein, mit ihm ins Dorf zu kommen. Diese Szene aus dem Film „The Mission“ spiegelt auf Hollywood-Art die Rolle der Musik in den sogenannten „Jesuitenreduktionen“ wider. Diese Missionssiedlungen, die sich im 17. und 18. Jahrhundert an der Grenze des spanischen Kolonialreiches in Südamerika befanden, waren ein Sonderfall der sonst schattenreichen Missionsgeschichte. Die Evangelisierung war zwar das Hauptziel dieser Unternehmungen, in denen Indigenas unterschiedlicher Stämme zusammenlebten, aber es wurde auch ein neues Gemeinwesen geschaffen, in dem die Musik eine wichtige Rolle spielte. An den vielen Festtagen versammelte sich das Dorf an der Kirche schon lange vor dem Morgengrauen. Begleitet von Geigen, Flöten und Trommeln wurden die Morgengebete gesungen. Später, nach der feierlichen Orchestermesse, fand die Prozession statt. Die Ecken des Hauptplatzes wurden mit Stationsaltären geschmückt, an denen die Prozession hielt, um durch Gesang und allegorische Tänze das Festgeschehen darzustellen. Einfach, aber wirksam wurden so die wichtigsten Formen der lokalen Gottesverehrung in den neuen christlichen Kult eingebunden – Musik und Tanz. Im letzten Jahrhundert fand man die Partituren der Musik der Reduktionen wieder und die Fachwelt staunte: Messen, Vespern, Kantaten, Motetten, aber auch weltliche Suiten allesamt eigens für die Reduktionen komponiert. Besonders die Werke eines Schweizer Jesuiten, Martin Schmid, verdienen Aufmerksamkeit. Von ihm haben wir auch einen umfangreichen Briefwechsel mit der Heimat, in dem er Sätze sagt wie: „Ich bin Missionar, weil ich singe, spiele und tanze“. Er hat einen schönen, leicht zu verstehenden Kompositionsstil, der dem empfindsamen Stil der Vorklassik gleicht. Er verlässt den Barockstil seiner Vorgänger, um auf die musikalische Empfindsamkeit der Indigenen einzugehen. Ein Beispiel: Im Psalm „Lobet den Herrn alle Völker“ vertont er den Text in einer Weise, dass die textliche und musikalische Hauptbetonung nicht wie üblich auf „Herr“ liegt, sondern auf dem kleinen Wörtchen „alle“. Damit ruft er seinen Musikern und allen Zuhörenden zu: „Ihr seid gemeint, alle Völker, dieser Psalm hat Euch im Sinn und endlich wird er hier Wirklichkeit“. Sicherlich waren auch Martin Schmid und die anderen Jesuiten in den Reduktionen Kinder ihrer Zeit, die Musik hat kaum Einflüsse aus den lokalen Musiktraditionen vorzuweisen. Die Evangelisierung war auch bei den Jesuiten des 17. Jahrhundert sehr stark mit einer Europäisierung verknüpft, aber hier und da finden sich doch Öffnungen, die das allgemeine Paradigma der Zeit hinterfragen und ein menschlicheres Antlitz der Mission erahnen lassen. Die Reste dieser Musik in den Traditionen der Indigenen heute und das Wiedererwachen des „Jesuitenbarocks“ in Bolivien und Paraguay in den letzten Jahrzehnten bezeugen, dass der Kulturwandel, den die Jesuiten eingeleitet haben, zu einem positiven Teil der Identität dieser Völker geworden ist. Noch immer kommen in einigen Reduktionen die Sänger vor dem Morgengrauen der Feste zusammen und singen und tanzen. Text und Musik sind kaum wiederzuerkennen, das indigene Erbe hat die europäische Musik überformt, aber ohne den von den Jesuiten eingeleiteten Kulturwandel wären wohl auch die lokalen Musiktraditionen in Vergessenheit geraten. Marc-Stephan Giese SJ ist Jesuit und Priester. Nach Stationen in der Jugendseelsorge in Deutschland und der Arbeit in der Gemeinde und beim JesuitenFlüchtlingsdienst in Schweden, arbeitet er seit 2019 in Amman (Jordanien) als Pfarrer der internationalen Gemeinde. © Linda Schwarz
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