SCHWERPUNKT 12 Beim Singen Gott auf der Spur Übung und Vertrauen: Die Beziehung zu Gott, aber auch das Singen im Chor spielt sich für Raphaela Düchs zwischen diesen beiden Polen ab. Ein gelungener Auftritt unseres Chores beglückt mich zutiefst. Damit meine ich nicht die Freude am Erfolg und am Applaus, den ich eher als unsanfte Erdung empfinde. Eins mit mir und der Welt bin ich während des Werdens der Musik. Das ist für mich auch eine spirituelle Erfahrung, ich würde sogar sagen: eine Gotteserfahrung. Mir kommt der Satz von Ignatius von Loyola in den Sinn: „Vertraue so auf Gott, als ob der Erfolg der Dinge ganz von dir, nicht von Gott abhinge; wende dennoch dabei alle Mühe so an, als ob du nichts, Gott allein alles tun werde.“ Die Forderungen nach Vertrauen und TätigWerden sind hier scheinbar widersprüchlich verschränkt. Zwischen beiden Begriffen besteht eine Spannung. Aber schon für sich genommen ist jeder der Pole ambivalent: Vertrauen kann befreien oder zur Passivität verführen. TätigWerden kann Großes entstehen lassen oder blind machen für Gott und die Umwelt. Doch so wie Ignatius beide Pole auf Gott bezieht und miteinander verschränkt, wird aus der Spannung ein aufgespannter Horizont – ein Raum, in dem ich wachsen und mich orientieren kann. Das schreibt sich leicht, aber wie lebt sich das? Gerne würde ich Gott blind vertrauen. Gerne würde ich durch meine Leistung glänzen. Stattdessen kämpfe ich mich täglich durch Klein- Klein, das wenig mit vertrauensvoll-tätiger Arbeit am Himmelreich zu tun zu haben scheint. Schon hier hilft mir der Vergleich mit dem Chor: Auch in den Proben ist es eher Müh' als Seligkeit, wenn Töne gelernt, Wortabsprachen festgelegt, an Intonationen gefeilt oder Stimmen in Akkorden gewichtet werden. Ohne Detailarbeit kann sich das große Ganze nicht ergeben. Doch im Vertrauen auf das Werden des Ganzen macht auch das mühsame Proben Freude. Aber mehr noch: Akribisches Proben genügt nicht. Wenn ich mich von der Musik ergreifen lasse, spüre ich, wie die genannten Pole von eigener Aktivität und vertrauender Hingabe verschränkt bleiben müssen, damit aus ihrer Spannung berührende Musik werden kann: Ich muss singen, als hinge alles von mir alleine ab, mit all meiner Konzentration, all meiner Empfindsamkeit, all meiner physischen Kraft und allem Mut – gleichzeitig muss ich singen, als wäre ich ein Instrument, das sich voll Vertrauen von der Dirigentin, den Mitsängern, dem Publikum, der Atmosphäre des Augenblicks spielen lässt. Es braucht die spannungsvolle Verschränktheit zwischen Vertrauen und Mühen, das spannende Wechselspiel zwischen Lassen und Tun. Wenn ich spüre, dass diese Spannung gehalten wird, fühle ich mich Gott auf der Spur – beim Singen und auch im Leben. Raphaela Düchs geboren 1974 in München, ist verheiratet und hat vier Töchter. Seit ihrer Schulzeit singt sie in verschiedenen Chören, seit zehn Jahren in der Kantorei der Kreuzkirche Bonn.
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