Jesuiten 2022-1

SCHWERPUNKT 18 Gottes Wege und Lieder sind unergründlich Pop- und Rockmusik versetzen innerlich in Bewegung und können so helfen, Gott näher zu kommen. Wolfgang Metz erlebt das immer wieder. Ich sitze im Auto. Es ist der Vorabend zum 3. Advent. Der neue Song von Joris springt mir aus dem Radio direkt in mein Ohr: True Love. …und es passiert (nicht alle Jahre, aber) wieder! Es war vor ziemlich genau drei Jahren und ziemlich genau dieselbe Situation. Damals sang Joris, dass er in aller Dunkelheit da sein wird und es aufwärts geht: Glück auf! Ich dachte und fühlte direkt: Wahnsinn! Was für ein Weihnachtslied! Natürlich hat Joris damals nicht über Weihnachten gesungen, aber für mich schon. Er hat davon gesungen, was wir an Heiligabend hören: „Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht“ (Jes 9,2). Er hat davon gesungen, dass Gott uns nicht alleine lässt, er in der dunkelsten Stunde bei uns ist und zuruft: Glück auf! Und jetzt hat er es wieder getan! Jetzt singt er aus dem Radio „du kommst immer näher“ und „alles in mir drin wird so leicht“ und „ich krieg' kein Wort raus“. Natürlich ist mir klar, dass er das Lied eigentlich für einen anderen Menschen singt. Aber in meinen Ohren erzählen diese Worte etwas darüber, wie unerhört nahe Gott mir manchmal kommt und darüber, was wir in der Menschwerdung, in der Auferstehung und in allem dazwischen feiern und wie mich das oft sprachlos zurücklässt. Der Autor Umberto Eco (Der Name der Rose) hat in den 60er Jahren einen Essay mit dem Titel „Das offene Kunstwerk“ veröffentlicht. Er beschrieb darin ein hermeneutisches Modell für ein damals neues Verständnis von Kunst und definierte darin eine Poetik der Offenheit im Gegensatz zur langen Tradition einer Poetik der Eindeutigkeit. Kurz gesagt: Es geht darum, dass jegliche Art von Kunst nicht so „funktionieren“ sollte, dass der Künstler seine Intention durch das Kunstwerk in den Kunstsinnigen hineinhämmert, sondern so, dass Letzterer das jeweils Seinige darin finden und weiterdenken kann. Was wäre, wenn ich damit verbunden die ignatianische Tradition ernst nehmen würde, die darin besteht, auf meine inneren Regungen zu achten und darauf, was mich Gott näherbringt? Dann erzählt Umberto Eco nicht nur etwas über Kunstverständnis, sondern plötzlich auch über Offenbarung. Es gibt viele Kirchenlieder, die mich, Gott sei Dank, mit Gott in Beziehung bringen, aber es gibt genauso unzählige Pop- und Rocksongs, bei denen es mir nicht weniger so geht. Vielleicht ist nicht jeder Song, der mich anspringt, eine Spur Gottes, aber der ein oder andere ganz sicher. Was würde das aber für die Art und Weise, wie wir Gott im Dienst suchen und feiern, bedeuten? Wolfgang Metz kann Vieles nur so halb. Deshalb ist er Priester geworden. Was er ganz kann, ist ins Kino gehen, Musik hören und Worte finden. Aktuell ist er halb Pfarrer in Sindelfingen und halb Hochschulseelsorger in Tübingen.

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