SCHWERPUNKT 19 Der Cantus firmus meines Lebens Drei Personen erzählen uns von ihrem persönlichen Soundtrack des Glaubens. Für Bruno Niederbacher SJ spannt sich dieser von Bach bis Bon Jovi. In einer Meditationswoche sollten wir als Novizen über den Cantus firmus in unserem Leben nachdenken. „Cantus firmus“ nennt man eine feststehende Melodie, die durch andere Stimmen umspielt wird. Unser Novizenmeister, P. Severin Leitner SJ, spielte als Beispiel einen Satz aus der Bach-Kantate Wachet auf, ruft uns die Stimme (BWV 140) ab. Tatsächlich enthält dieses Lied Themen, die sich durch mein Leben ziehen wie ein Cantus firmus, den ich mit immer neuen Variationen umspiele, mal in Dur und mal in Moll. 1. „Wachet auf!“ Wenn ich mich an etwas vorbeimogeln will: Wach auf! Wenn ich eine wichtige Entscheidung auf die lange Bank schiebe: Wach auf! Wenn ich mich zu selbstsicher fühle: Wach auf, du sterblicher Mensch! Auch beim Beten versuche ich, wach zu sein. Ich nehme meine Stimmungen wahr, frohe und traurige; ich will sie zulassen und loslassen. Beten ist oft Wachsam-Sein, Warten, bis die Seele nachkommt. Und Beten ist auch Hineinhorchen: in mich, in andere, in Gott. 2. „Mitternacht heißt diese Stunde“: Vieles in meinem Leben ist nicht so klar. Besonders Glaube erinnert mich mehr an Nacht als an Tag. Zweifel tauchen auf. Ich meinte, diese Nacht sei ein Übel, das ich überwinden soll. Doch mittlerweile denke ich: Glaube und Zweifel sind Zwillinge. Zweifel reinigt, Zweifel sagt mir: Glaube kommt nicht von dir. Ich lerne, mit Unsicherheiten zu leben, mit Fragen und Ängsten. Frei nach Johannes vom Kreuz singe ich das Taizé-Lied: „In der Nacht gehen wir, um der Quelle zu begegnen. Nur der Durst leuchtet uns.“ 3. „Macht euch bereit zu der Hochzeit!“ Ein Bild Jesu für das Reich Gottes ist die Hochzeit. Warum? Hochzeit steht für die Erfahrung, geliebt zu werden und zu lieben. Im Reich Gottes zu sein heißt letztlich: Sich von Gott unbedingt geliebt glauben. Oft vergesse ich dies, oft wird dieses Hauptthema überlagert von anderen, unwichtigen und falschen Themen. 4. „Ihr müsset ihm entgegengeh’n.“ Ja, ich gehe Gott entgegen, ich suche ihn. Ich bin auf dem Weg. Ich muss nicht vollkommen sein. Mir dies einzugestehen entkrampft. – Ich mache nun einen Sprung von Bach zu Bon Jovi, dieser US-amerikanischen Rockband. Einmal singen sie: „Wir sind auf halbem Wege dort, nimm meine Hand, ich schwöre, wir schaffen es, Leben auf der Grundlage eines Gebets.“ Ich gehe Gott entgegen im Vertrauen, dass ich schon auf halbem Wege dort bin und Gott mir entgegenkommt. Livin‘ on a prayer. Bruno Niederbacher SJ stammt aus Uttenheim in Südtirol und lehrt Philosophische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Darüber hinaus bringt er seine Kreativität und sein musikalisches Talent als Priester bei Taufen, Hochzeiten und vielen anderen Anlässen ein. Als Konsultor berät er den Provinzial bei der Leitung der Jesuiten-Provinz.
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