Jesuiten 2022-1

SCHWERPUNKT 20 Ruhe im Sturm Musik und Gott haben für Luis Weiß etwas gemeinsam: Sie sind Resonanzräume. Weiß ist Komponist und versucht mit seiner Musik, Gotteserfahrung zu ermöglichen. Akustisch betrachtet wird der Charakter eines Klangs durch sein Obertonspektrum geprägt. Obertöne sind das Ergebnis von Resonanz, also Schwingung. Ich glaube, Gott liebt Resonanz. Er hat uns ins Leben gerufen, damit wir zurückrufen, und ist damit selbst ein unermesslicher Resonanzraum. Musik, ob sie nun geistlich intendiert ist oder nicht, kann in diesem göttlichen Resonanzraum schwingen und so einen geistlichen Charakter erhalten. Während die akustische Resonanz hörbar ist, kann die göttliche erspürt werden. So ist nicht nur die Seite des Komponierenden unmittelbar verantwortlich für die geistliche Prägung eines Musikwerks, sondern in ganz zentraler Weise auch die der Hörenden. Sie bilden unverwechselbar subjektive Resonanzräume. Meine Arbeit als Komponist besteht darin, diese Räume mit musikalischen Mitteln zu aktivieren und eine Gotteserfahrung zu ermöglichen. Bei aufgeführter Musik können liturgische Elemente oder der Kirchenraum selbst helfen, diese Erfahrung zu intensivieren. Für den 100. Deutschen Katholikentag wählten Pfarrer Siegfried Kleymann und ich bewusst den Leipziger Hauptbahnhof für die Umsetzung unserer Messkomposition „Refugium“. Der von Hast und Betriebsamkeit geprägte Bahnhof sollte vorübergehend zu einem Zufluchtsort werden. Als sich dort schließlich über 600 Menschen versammelten, um die nächtliche Messe mitzufeiern, verwandelte sich die Osthalle des Bahnhofs tatsächlich in einen kathedralähnlichen Resonanzraum, ebenso offen für die gemeinschaftlich Betenden wie für die hindurcheilenden Reisenden. Die Mitfeiernden brachten ihre unwirtliche Umgebung insbesondere durch das gemeinschaftliche Singen zum Schwingen. In diesem zutiefst konstruktiven Erlebnis bin auch ich Gott begegnet. Vielleicht stellt sich mancher vor, eine Komposition entstehe aus völliger Ruhe und Abgeschiedenheit. Als ich die Komposition von Refugium begann, befand ich mich eher in stürmischen Zeiten. Im Komponieren selbst konnte ich Ruhe finden. Ich habe dabei bis heute kein geistliches Ritual, beispielsweise zu beten oder zu meditieren, bevor ich Musik schreibe. Das Tasten und Singen am Klavier zieht mich in einen Zustand völliger Konzentration, den man vielleicht Meditation oder Flow nennen kann. Aus der Vielheit der Möglichkeiten, dem Chaos der Gedanken entsteht ein überschaubarer Raum, der nach und nach eingerichtet und ausgeschmückt wird. Wie unterschiedlich solche Klangräume aussehen können, verdeutlichen zwei Beispiele aus der Messkomposition: Als Erstes entstand der Liedruf „Domine Refugium“, der völlige Aufgehobenheit in Gott vermitteln soll: ein friedvolles Ruhegefühl, das sich im Verlauf kurzzeitig in hymnische Dankbarkeit intensiviert. Im krassen Gegensatz dazu verklanglicht das Stück „Weltenchaos“ mit treibendem Rhythmus höchste Anspannung, den Sturm, der in uns manchmal tobt. Im Leben sind Spannung und Anspannung existenzielle Zustände, die entscheidend für unser Empfinden sind. In der Musik sind diese Parameter nur Stilmittel, die allerdings die Kraft haben, uns durch ihre Klanglichkeit in Schwingung zu versetzen und © Linda Schwarz

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