Jesuiten 2022-1

SCHWERPUNKT 4 … damit mein Mund Dein Lob verkünde Von außen kann das monotone Rezitieren der immer gleichen Psalmen eintönig wirken. P. Benedikt gewährt uns Einblicke in sein Kloster und erschließt mit seiner persönlichen Perspektive eine vielschichtige Tradition. Es ist noch dunkel und kalt, wenn die ersten dumpfen Schritte durch die jahrhundertealten Gänge stapfen. Die Mitbrüder machen sich bereit zum ersten Chorgebet des Tages, die Vigil, die Nachtwache. Noch halb in den Träumen, der Schlaf hängt noch in den Lidern. „Jemand muss wachen, (…) um deine Ankunft zu melden, Herr, du kommst ja doch in der Nacht“, bezeugt es Silja Walter in ihrem Gedicht Kloster am Rande der Stadt. „Und jemand muss singen, Herr, wenn du kommst!“ So öffnet sich also der Mund nach der grossen Stille der Nachtruhe: Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund Dein Lob verkünde. Dreimal wiederholen und damit eintauchen in das morgendliche Ritual, das dem Tag und dem Leben seinen Rhythmus verleiht und mit diesen ersten Worten auch das Ziel und den Sinn aufzeigt: Gottes Lob. Es folgt das Invitatorium, die Einladung. Der Hl. Benedikt schreibt in seiner Regel, dass es „sehr langsam und gedehnt zu singen ist“ (Nr. 43,4), damit auch diejenigen, die nicht so leicht aus dem Bett kommen, trotzdem noch der Einladung folgen können. Es folgen verschiedene Psalmen, die mit einer Lesung aus theologischen oder biblischen Schriften beendet werden. Am Ende der Vigil steht unter der Woche das „Te decet laus“ und am Sonntag das „Te laudamus“. Zu Benedikts Zeiten waren noch mehr Psalmen vorgesehen, aber er ist auch in der Psalmenordnung des Stundengebets für bessere Vorschläge offen (vgl. Nr. 18,22). Die Psalmen werden zwischen den Mitbrüdern, die sich in zwei Gruppen auf die beiden Chorseiten verteilt haben, wechselseitig gebetet. Rezitiert – also als monotoner Sprechgesang – und nicht gesungen. So früh mag die Stimme noch nicht wirklich mitmachen. Eigentlich schade, denn gerade die Responsorien der Vigil, Antwortgesänge auf die Lesungen, gehören mitunter zum schönsten und ältesten Repertoire des Gregorianischen Chorals. So steht man also, noch halb in der Traumwelt und doch schon in das Lob Gottes hineingezogen, inmitten des dichten Klangs von Psalmversen, der einen umgibt. Man wird getragen und hinweggetragen von den Worten. Die Gedanken ziehen aus, zurück zu den Träumen der vergangenen Nacht und voraus zum Tageswerk. Das ist das grosse Geheimnis des Psalmengesangs: Es geht eben nicht darum, möglichst viele, heilige Worte aneinander zu reihen. Gott kennt sie ja bereits. Diese ritualisierten, rhythmisierten Gebete, egal ob rezitiert oder gesungen, sollen unsere Gedanken ausziehen lassen und trotzdem in Gottes Wort verankern. Es ist die ur-jüdisch-christliche Meditation und strebt letztlich nichts anderes an als die vielen anderen Meditationsmethoden. Nicht zuletzt deshalb, weil beim Psalmodieren auch die richtige Atmung eine zentrale Rolle spielt. Es sind unsere Gebetsmühlen, die kreisen und uns kreisen lassen. Beim Beten kehren die Gedanken immer wieder zurück zu den Psalmversen und plötz-

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