Jesuiten 2022-2

SCHWERPUNKT 9 lem auch nötig ist, wenn er dazu führt, dass wir einfühlsam hinhören und ernst nehmen. Gleichzeitig zeigt er aber auch, wie tabuisiert dieses Thema in unserer Gesellschaft noch immer ist. Mehr als ein Drittel aller Jugendlichen beschäftigt sich im Laufe des Heranwachsens in theoretischer Weise mit Selbsttötungsideen, ohne dass dies mit konkreten Umsetzungsideen oder Handlungen verknüpft wäre. Insofern ist die gedankliche Auseinandersetzung mit dieser prinzipiellen Möglichkeit durchaus gängig in dieser Altersstufe und kann auch Teil der Bewältigung von Krisen sein. Dennoch dürfen wir uns nicht dadurch oder durch mögliche leichtere Suizidversuche mit appellativem Charakter verführen lassen, dieses Thema nicht ernst zu nehmen. Gerade im Kindes- und Jugendalter kommt es immer wieder auch zu im- pulsgesteuerten, überschießenden Handlungen, denen kaum präsuizidale Anzeichen vorausgehen. Es ist eine schwere Aufgabe, suizidale Äußerungen angemessen ernst zu nehmen, ohne sofort ins Agieren zu kommen. Wir müssen uns alle gewiss sein, dass wir eine ernst gemeinte suizidale Handlung letztendlich nicht verhindern können. Meist jedoch hat die Suizidalität ein dahinterstehendes Motiv. Es geht nicht um ein „Sterben-wollen“, sondern um das „So-nicht-mehrleben-wollen“ – um Angst vor der Zukunft und dem damit verbundenen Überforderungserleben oder ein subjektives Erleben von Ohnmacht, Hilflosigkeit und absoluter Hoffnungslosigkeit. Häufig gibt es eine verdeckte Vorgeschichte in der Kindheit, die eine im Untergrund wirkende (Selbst-)Unsicherheit schafft und einen oder mehrere aktuelle Auslöser (Schulschwierigkeiten, Konflikte mit Eltern oder Freund*innen, eine unglückliche Liebe oder belastende Erlebnisse), die wir dann als Spitze des Eisberges sehen. So bleibt die Massivität des jugendlichen Überforderungserlebens oft zunächst verborgen und unverständlich. Gleichzeitig steckt in dem Wunsch, so nicht mehr leben zu wollen, eigentlich noch die verschüttete Hoffnung auf ein anderes, befreites Leben. Meine Erfahrung ist, dass aufmerksames, zugewandtes und einfühlsames Hinhören und eine absolute Annahme des Anderen und damit auch seiner Suizidgedanken die Grundlage schaffen, dass auch auf eine Frage nach Suizidalität ehrlich geantwortet werden kann. Trotz des Verständnisses der subjektiven Not können wir uns gleichzeitig in jedem Moment deutlich für die Möglichkeit anderer Wege aussprechen. Es mag verunsichern, wie man mit diesem Thema umgehen kann, aber die ganz konkrete Frage nach suizidalen Gedanken wird keinen Menschen „auf diese Idee bringen“, sondern kann im Zweifel der nötige Ausweg aus der empfundenen Hilflosigkeit sein. Es geht darum, dass die/der Jugendliche sich in seiner Not verstanden fühlt. Dies ist wohl auch die beste Grundlage, um mit ihr/ihm gemeinsam zu überlegen, welche Schritte der Hilfe angebracht sind und wie diese aufgesucht werden können, um hoffentlich einer neuen Perspektive mehr Raum geben zu können. Mirella Teske befindet sich neben ihrer Weiterbildung zur Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie auch in der Ausbildung zur Geistlichen Begleiterin. Sie lebt in Bonn und entspannt sich beim Cellospielen. Jugendliche und Eltern finden Ansprechpartner*innen in der Telefon- oder Onlineberatung der Nummer gegen Kummer www.nummergegenkummer.de Orientierung für Bezugspersonengruppen bietet z.B. www.neuhland.net. Der Rettungsdienst kann den Kontakt zur örtlichen Kinder- und Jugendpsychiatrischen Versorgungsklinik für akute suizidale Krisen vermitteln. © Katharina Gebauer

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