Jesuiten 2022-2

SCHWERPUNKT 14 Freude am Leben – Freude am Zugehen auf das Sterben Christian Braunigger SJ genießt sein Leben, blickt dem Tod aber gelassen entgegen. Daher stellt sich die Frage: Ist die Aussage ‚Freude am Leben – Freude am Zugehen auf das Sterben‘ nicht ein Paradox? Freue ich mich nun am Leben oder freue ich mich auf die Aussicht zu sterben? Für mich sind beide Sichtweisen vereinbar. Einige Zeit hat mich ein Satz des chilenischen Armenapostels Hl. Alberto Hurtado SJ herausgefordert: „Wer einmal die Augen Christi gesehen hat, wird dies niemals vergessen.“ Wie soll dies zu verstehen sein? Ein Verständnis hierfür bekam ich, als ich mich in einer Obdachlosenunterkunft ehrenamtlich engagierte Ich spielte mit einem der Gäste. Dieser gewann, und seine Augen strahlten eine tiefe Freude aus. Die Gegenwart Gottes war greifbar, ich durfte im Anderen die Augen Christi sehen, und die Gegenwart Gottes empfand ich als greifbar. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, und seitdem verstehe ich, was Alberto Hurtado SJ sagen wollte. Die Versammlung von Delegierten des Jesuitenordens hielt in einem Dokument fest, dass wir „als Sünder in die Gesellschaft Jesu“ berufen sind. Vielen Menschen kommt es leicht über die Lippen zu sagen, dass alle Menschen Sünder sind und der Barmherzigkeit Gottes bedürfen. Die Tiefe dieser Aussage erkannte ich jedoch erst, als ich mir eingestehen musste, mich von Gott abgewandt zu haben, mir meine eigenen Grenzen eingestehen musste. Ich kehrte zu Gott um, durfte mich angenommen fühlen und in der Beichte erfuhr ich die Barmherzigkeit Gottes durch eine überwältigende Erfahrung seiner Gegenwart. Solche Gotteserfahrungen haben in der Vergangenheit mein Leben beflügelt und haben in mir eine langanhaltende, innere Freude ausgelöst. In der Folge kann ich Menschen authentischer auf ihrem Weg zu und mit Gott begleiten. Zugleich hänge ich aufgrund dieser Gotteserfahrungen weniger am eigenen Leben, und zwar keinesfalls aus einer Lebensmüdigkeit heraus. Die überzeugte, tiefe Erfahrung der Gegenwart Gottes lässt die Frage aufleuchten: Wenn ich bereits im Jetzt die Gegenwart Gottes als so wunderbar und überwältigend erlebe, wie wird wohl die Erfahrung Gottes erst im Jenseits sein? Das Wissen der eigenen Vergänglichkeit und damit verbunden die Hoffnung auf das Leben in Fülle durch Gott selbst am Ende meiner Tage lässt mich die Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten des Lebens mit einer größeren Gelassenheit angehen und hilft mir, die kleinen Freuden des Alltags und in ihnen Gott wahrzunehmen. Die Freude am Leben und die Freude am Zugehen auf das Sterben stellen für mich keinen Widerspruch dar, sondern ergänzen und verstärken einander. Christian Braunigger SJ Bevor er 2006 in den Orden ein- trat, studierte er zunächst Wirtschaftsingenieurwesen. Nach seinem Philosophiestudium folgten Arbeit für den Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Ostafrika, sein Theologiestudium in Paris und schließlich die Priesterweihe 2015. Nachdem er als Studentenpfarrer in der KSG in Leipzig tätig war, arbeitet er nun am Aloisiuskolleg als Kollegs-Seelsorger.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==