Jesuiten 2022-2

SCHWERPUNKT 15 Unsterblichkeit durch Erinnerung Unsterblich zu sein, ist das Ziel vieler Menschen und birgt Stoff für Literatur, Film und Philosophietheorien. Mick Bordt SJ nähert sich dem Gedankenspiel des Sokrates über Sexualität und Unsterblichkeit. Vordergründig geht es nur um Sex in Platons vielleicht bekanntestem Dialog, dem Symposion. Auf einer Party beschließen die illustren Gäste, sich nicht einfach nur zu betrinken. Reden sollen gehalten werden, Reden über den Eros, über die nicht zu bändigende Kraft der Sexualität. Auch Sokrates ist eingeladen, und als er an die Reihe kommt, den Eros zu preisen, scheint es zunächst besonders schlüpfrig zu werden: Von einer Frau, ja sogar einer Priesterin, habe er alles über die Sexualität gelernt, was man dazu wissen müsse. Totenstille im Saal. Doch was Sokrates dann in seiner Rede zu entfalten beginnt, ist eine großartige Vision, die weit über die Grenze der Sexualität im engen Sinn hinausgeht. Das unmittelbare Ziel der Sexualität sei zwar die Zeugung neuen Lebens, aber diese Zeugung habe ein weiteres Ziel: Unsterblichkeit zu erlangen. Durch Zeugung Unsterblichkeit zu erlangen: Das gilt aber nicht nur für die Sexualität, sondern ist die treibende Kraft der Motivation, die hinter allen großartigen Taten steht. Eros ist nicht auf die Sexualität beschränkt, sondern wird zu einem Prinzip, das uns bis hin in mystische Erfahrungen nach der Gewissheit unserer Unsterblichkeit streben lässt. Aber der Reihe nach! – und bei Platon beginnt die Reihe bei den Tieren. Die unglaubliche Energie, die sie bei der Zeugung und Aufzucht ihrer Nachkommen zeigen, lässt sich nur durch ihr Streben nach Unsterblichkeit erklären. Freilich ist es ihnen nicht möglich, als individuelles Tier unsterblich zu werden. Die ihnen mögliche Unsterblichkeit ist die der Gattung. Unsterblichkeit bedeutet bei Tieren, als Gattung nicht zu Grunde zu gehen. Auch Menschen, so Sokrates und mit ihm ja auch manche unserer Zeitgenossen, versprechen sich von ihren Nachkommen Unsterblichkeit: In der Erinnerung ihrer Nachkommen wollen sie den Tod überdauern, denn wirklich gestorben sind sie erst, wenn sich keiner mehr an sie erinnert. Unsterblichkeit durch Erinnerung lässt sich aber nicht nur durch die Zeugung von Nachkommen sicherstellen. Allem Großartigen, was Menschen erschaffen, liegt das Streben nach ihr zu Grunde. Platon denkt an Kunstwerke, Heldentaten oder politische Entscheidungen, die auf immer mit dem eigenen Namen verbunden sind. Und in der Tat: Noch heute erinnern wir uns an Sokrates und Platon! In ihren Werken leben sie weiter. Freilich sind all das defizitäre Formen der Unsterblichkeit. Denn es gibt etwas im Menschen, das unsterblich ist – ganz unabhängig von der Erinnerung anderer. Erfahrbar wird diese eigentliche Unsterblichkeit in der Mystik. In der beglückenden Schau der Idee des Schönen, die selbst ewig ist, erfahren wir, dass wir unsterblich sind und den Tod überdauern werden. Es ist diese Gewissheit, die jede Angst nimmt, auch die Angst vor dem eigenen Tod. Michael Bordt SJ ist 1988 in den Jesuitenorden eingetreten. Seit 1997 ist er an der Hochschule für Philosophie in München tätig und ist Vorstand des Instituts für Philosophie und Leadership.

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