Jesuiten 2022-3

SCHWERPUNKT 12 Vernünftig hoffen „Was darf ich hoffen?“ – Für Immanuel Kant fällt die Beantwortung dieser Frage unter die Aufgaben der Philosophie. Die Formulierung mag überraschen. Denn wer sollte uns das Hoffen verbieten können? Dennoch hat Kant das Hilfsverb mit Bedacht gewählt. Es geht ihm nicht um Träume oder Illusionen, sondern um eine Hoffnung, die vor der Vernunft bestehen kann. realitätstauglich Wer hofft, wünscht sich, dass seine Absichten in Erfüllung gehen. Wer wunschlos glücklich wäre, bräuchte auf nichts mehr zu hoffen. Wunschlos glücklich ist, wenn überhaupt, nur Gott. Es ist derselbe Grund, warum wir Menschen Hoffnung brauchen, und warum wir uns keine falschen Hoffnungen machen sollten: Die Wirklichkeit entspricht nicht immer unseren Vorstellungen. Durch noch so große Anstrengungen vermögen wir nicht, alles nach unseren Plänen einzurichten. Vernünftige Hoffnung macht sich nichts vor. Sie weiß, dass wir weder uns selbst noch andere wunschlos glücklich machen können. Trotzdem steckt sie den Kopf nicht in den Sand. verantwortungsbewusst Die kantische Frage nach der Erlaubnis zu hoffen lässt eine zweite Deutung zu. Von manchen Wünschen oder Sehnsüchten wäre es schlicht unanständig zu hoffen, dass sie in Erfüllung gehen. Eine Tennisspielerin, der die Moral nicht egal ist, wird zum Beispiel nicht hoffen ‚dürfen‘, dass ihre Gegnerin plötzlich stolpert und sich verletzt. Aber ‚darf‘ ich vielleicht hoffen, dass eine Partei, die nichts für den sozialen Ausgleich tut, die Wahl verliert? Oder ‚muss‘ ich darauf sogar hoffen? Was jemand erhofft, ist nicht bloß eine Frage des Gefühls oder des Charakters, sondern vernünftiges Hoffen hat mit Moral zu tun. religionsaffin Kant beschäftigt noch eine dritte Schwierigkeit: Was wäre, wenn einerseits die Stimme des Gewissens dazu aufriefe, unseren notleidenden Mitmenschen beizustehen, wenn wir aber andererseits zugeben müssten, dass alles menschliche Mühen die Welt nicht besser macht? Die Hoffnung richtet sich immer auf etwas, wozu wir zwar den Grund legen, das wir aber selbst nicht bewirken können. An dieser Stelle bringt Kant die Religion ins Spiel. Wer einsehen muss, dass er weder die Welt gerecht noch alle Menschen glücklich zu machen vermag, könnte gleichwohl auf jemanden hoffen, in dessen Macht es liegt, Gerechtigkeit und Glück zu verwirklichen. Das Realitätsprinzip verbietet, eine solche Hoffnung in einen menschlichen Akteur zu setzen. Das Verantwortungsbewusstsein fordert, die Hände nicht in den Schoß zu legen, während wir auf bessere Zeiten warten. Die Religion erlaubt, den Blick weg von uns selbst, auf Gott zu richten. Sollte Kant übertrieben oder sich geirrt haben? Georg Sans SJ Er lehrt seit 2014 Religionsphilosophie an der Hochschule für Philosophie in München. Zuvor war er Professor an der Gregoriana in Rom. ©TUM-Archiv

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