Jesuiten 2022-3

SCHWERPUNKT 20 Hoffnung bis zuletzt Haben Menschen mit einer lebensbegrenzenden Diagnose noch Hoffnung? Schwester Hannelore Huesmann teilt mit uns ihre Erfahrungen, wie vielfältig Hoffnung am Lebensende sein kann. Seit mittlerweile über 25 Jahren leite ich einen ambulanten Hospizdienst für Menschen mit AIDS. Wir lernen Menschen kennen, die überraschend oder über einen langen Zeitraum in eine Situation gekommen sind, in der sie sich mit einer lebensbegrenzenden Diagnose konfrontiert sehen. Sind sie das, was manche als „hoffnungslose Fälle“ bezeichnen? Ich erlebe Menschen, die Kraft aus ihrem Glauben beziehen: „Mag sein, dass mein Körper nicht mehr mitmacht, aber ich glaube fest daran, dass mit dem Tod nicht alles aus ist!“ Das schenkt diesen Menschen eine Perspektive und lässt sie allen medizinischen Befunden zum Trotz lächeln. Ebenso gibt es unter den Menschen, die wir begleiten, aber auch diejenigen, die in ihrem Leben nie Zugang zu Glaubensfragen oder eine kirchliche Bindung bekommen haben. Sind sie deshalb hoffnungslos? Ich habe gerade von ihnen gelernt, wie vielschichtig Hoffnung sein kann. Günther* erfüllt angesichts einer fortschreitenden Tumordiagnose die Hoffnung, dass die ihm verbleibende Zeit eine schmerzfreie sein wird. Wilfried*, der seit zwei Jahren nicht mehr sprechen kann, hofft darauf, dass wir ihn regelmäßig besuchen und mit ihm reden – auch wenn er nicht mit Worten antworten kann. Aber durch Kopfschütteln, Nicken oder andere Gesten ist die Kommunikation ja möglich! Werden solche Hoffnungen erfüllt, ist das eine Erfahrung, die Menschen leben lässt – manchmal geradezu aufleben lässt! Diese beiden Beispiele machen vielleicht auch deutlich, dass trotz einer lebensbegrenzenden Diagnose die Hoffnung ihren Platz hat und haben darf. Zugleich möchte ich Menschen keine falschen Hoffnungen machen. Deshalb sind für mich Wahrhaftigkeit und Hoffnung wie zwei Seiten einer Medaille. Beides gehört zusammen. Wahrhaftigkeit meint jedoch nicht, jemandem gnadenlos die Begrenztheiten des Lebens zu präsentieren, sondern zu dem stehen zu können, was man sagt oder tut. Das bewahrt zugleich vor billigen Vertröstungen! Oft frage ich einfach die Menschen, die wir begleiten, was sie sich erhoffen: vom nächsten Tag, von der vor ihnen liegenden Zeit, von den Menschen, denen sie sich verbunden wissen, von uns … Manche überrascht die Frage erst einmal, andere antworten sofort und sehr konkret. Ich stelle diese Frage, weil ich an einen Gott glaube, der für uns alle die Hoffnung hat, „dass sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10) – und weil ich als Christin eingeladen bin, dieser Hoffnung in meinem Umfeld ein Gesicht, Hände oder Füße zu geben. Sr. M. Hannelore Huesmann Die Krankenschwester und Franziskanerin gehörte 1997 zu den Gründungsmitgliedern des „Hospizdienst TAUWERK e.V.“ in Berlin und letiet diesen seitdem. * Namen geändert ©TUM-Archiv

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