Jesuiten 2022-4 (Deutschland-Ausgabe)

SCHWERPUNKT Stefan Rohrer: 3. Kreuzung, 2014 – Foto: Archiv Galerie Scheffel Als Jugendlicher liebte Ignatius Ritterspiele: Reiten, Fechten, ritualisiertes Kämpfen um die Ehre, auch Formen des Minnespiels, bei dem man – mehr platonisch – von Ferne eine hohe Dame verehrte und für sie im Kampf den Siegespreis erringen wollte. Ignatius hatte eine blühende Phantasie: Als er monatelang gelangweilt auf dem Krankenlager in Loyola lag, malte er sich in der Phantasie mehrere Szenarien für sein zukünftiges Leben aus – und lernte daran erste Schritte der Unterscheidung der Geister. Was wir „Langeweile“ nennen, ist ein zweckfreier Zeitraum, in dem wir ins Spielen kommen können, mit der Phantasie oder anders … In seinem Exerzitienbuch leitet Ignatius an, mit der Phantasie zu spielen. Er beschreibt ritterliche Szenen, die die Betrachter*innen sich vorstellen und in denen sie sich wiederfinden. Ganz oft imaginieren die Betrachter*innen biblische Geschichten: Diese inszenieren sie vor ihrem inneren Auge wie ein Theaterstück auf der Bühne, und sie spielen selbst mit, indem sie sich mit dieser oder jener Person identifizieren und in dieser Züge ihres Lebens wiederfinden. Dadurch deuten sie ihren Alltag neu, oder sie erkennen eine Botschaft für die Zukunft. Die Bibel spricht durch dieses Spiel tief in ihr Leben hinein, und sie werden das, was sie im Herzen bewegt und was sie für sich erkennen, ins Gebet bringen, um so mit Gott enger in Beziehung zu kommen. Wichtig ist, dass man diese Übungen spielerisch angeht, also nicht verbissen ernst und auf Ergebnisse fixiert, sondern in freier Entfaltung: Ob sich etwas zeigt, ob man Trost und Freude erfährt, das ist letztlich Geschenk von oben; mal wird es gewährt, mal auch nicht. Der spielende und ebenso der spirituelle Mensch will nichts machen, sondern er nimmt dankbar an, was er bekommt. Als Generaloberer eines schnell wachsenden Ordens musste Ignatius ständig Entscheidungen treffen. Bei komplexen Fragen hat er mit seinen Beratern sicherlich oft verschiedene Lösungsmöglichkeiten erwogen und diese dazu in der Phantasie durchgespielt. Solche geradezu sinnlichen Übungen helfen, sich sowohl emotional wie rational einem „Projekt“ – so sagen wir heute – anzunähern und dessen Vor- und Nachteile zu sehen und zu beurteilen. Bis heute arbeitet der Orden in seinen Führungsgremien mit Imaginationsübungen und Planspielen. Ignatius legte Wert darauf, dass zur Erholung der Mitbrüder Landhäuser bereitstehen. Dort, so ordnete er an, sollte gespielt werden. Das vorgesehene Spiel hatte er an der Pariser Sorbonne kennengelernt: Man nahm kleine Täfelchen aus Holz und schubste sie an den Tischrand; wer sein Täfelchen möglichst nahe am Rand platzierte, ohne dass es zu Boden fiel, hatte gewonnen. Wenn Ignatius krank oder „im Überdruss“ war, ließ er sich gelegentlich durch einen Mitbruder schöne Melodien vorsingen oder auf dem Klavichord vorspielen. Ignatius hatte viel Humor, das zeigen seine Briefe oder mancher Bericht von Gesprächen mit ihm – ein feinsinniger, aufbauender Humor ist die vielleicht schönste Weise zu spielen. War Ignatius ein Spieler? Sicher konnte er, wo es nötig war, ernst und effizient reden und arbeiten. Und doch wusste er, dass der Mensch zweckfreie Auszeiten braucht, in denen er frei und heiter spielen darf. Auch sein Gebet hatte spielerische Seiten. Ja, Ignatius war ein Spieler. Stefan Kiechle SJ ist Chefredakteur der Kulturzeitschrift „Stimmen der Zeit“ und Beauftragter der Provinz für Ignatianische Spiritualität. Er spielt gelegentlich gerne mit seiner Phantasie und mit seinen Gedanken. Auch sein Gebet hatte spielerische Seiten. Ja, Ignatius war ein Spieler. 13

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