Jesuiten 2023-1 (Deutschland-Ausgabe)

Beten, nicht jammern! Hilft Beten? Die Frage lockt uns schon auf den Holzweg, als ginge es im Fürbittgebet um ein heilsames Wässerchen gegen die Nöte der Welt. P. Tobias Zimmermann SJ blickt in das Neue Testament. Vertrauen Sie darauf, dass Beten hilft? Tatsächlich gibt es empirische Studien, die belegen, dass Menschen, für die gebetet wird, statistisch gesehen bessere Heilungschancen haben, auch wenn sie gar nicht wissen, dass für sie gebetet wird. Mag ja sein, denke ich mir. Aber was genau beweist das? Geht nicht schon die Frage nach der „Wirksamkeit des Gebets“ am Kern vorbei? Das Fürbittgebet bringt selbst Theolog*innen und eingefleischte Kirchgänger*innen in Verlegenheit: Weiß Gott etwa nicht, was uns bedrängt? Ist Beten nur Ausdruck der Hilflosigkeit oder, schlimmer noch, des Unwillens zu handeln? Jedenfalls forderte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow angesichts der anhaltenden russischen Angriffe trotz einer europaweiten Welle von Friedensgebeten: „Betet nicht für uns, handelt!“ Andererseits lehrt Jesus die Jünger, sich nicht zu schade zu sein, Gott lästig zu fallen (Lk 11,5–13). Ja, er vergleicht Gott sogar mit einem korrupten Richter, der einer armen Witwe nur deshalb Recht gibt, weil er fürchtet, sie würde ihn sonst sogar schlagen (Lk 18,1). Am Ende dieser Passage aber wendet sich unsere Frage so unscheinbar und knapp, dass wir es fast überhören: „Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?“ (Lk 18,8). Mit anderen Worten: Kann Gott sich auf uns verlassen? In unserer Kapelle im Heinrich Pesch Haus in Ludwigshafen hängt der Torso eines Gekreuzigten. Die Arme fehlen. Aber der Rumpf zeigt, dass ursprünglich einmal Jesus die Menschen vor ihm und die Welt vom Kreuz herunter umarmte. Eine innige Geste der Liebe und des Vertrauens im Moment größter Hilflosigkeit einer enttäuschten Liebe. Ihm und meinen Mitbetenden darf auch ich mich in meiner Trauer, Enttäuschung, Sorge und Hilflosigkeit zeigen. So wird das Gebet zu einem sehr erwachsenen und intimen Moment: Gott und Mensch öffnen sich füreinander in all ihrer Verletzlichkeit. Beide müssen zusehen, wie die Hoffnung, dass Liebe die Welt zu verändern vermag, an Habgier und Gewalt und am Tod zu zerschellen droht. Und gerade hier, wo es nun nicht mehr darum geht, ob Gott meine Wünsche oder ich Gottes Willen erfülle, vermag sich dann manchmal die heilende Macht einer erwachsenen Liebe zu entfalten. Und mir kommt es so vor, dass sie mich wachsen lässt. Sie führt mich auch wieder zur Entschiedenheit zu handeln, wo ich handeln kann. Wichtiger aber noch: Sie führt mich zur Entschiedenheit, nicht zulassen zu wollen, dass Resignation das gegenseitige Vertrauen von Gott und Mensch auf die heilende und verändernde Kraft der Liebe zerstört. P. Tobias Zimmermann SJ ist Theologe und Kunstpädagoge. Er leitet das Heinrich Pesch Haus und das Zentrum für Ignatianische Pädagogik (ZIP) in Ludwigshafen. Außerdem ist er Chefredakteur der Publikation JESUITEN. 12 SCHWERPUNKT

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==