Jesuiten 2023-1 (Deutschland-Ausgabe)

Thomas Junghans: Little abstract head Über Bande spielen Praktizierende Christin*innen und Menschen, die sich nicht als gläubig bezeichnen, aber immer wieder ein Stoßgebet zum Himmel schicken, sie alle beten um und bitten für das Wohl anderer – warum eigentlich? Ein Blick aus der Psychologie. Die Psychologie ist eine Wissenschaft, die sich auf Beobachtungen und Studien menschlichen Verhaltens und Erlebens gründet. Und so stellen sich viele Fragen, wenn man das Fürbittgebet durch eine psychologische Brille betrachtet: Was geschieht mit den Personen, die Fürbitte halten und was mit denjenigen, für die gebetet wird? Verändert sich etwas im Beziehungsdreieck zwischen dem betenden Menschen, dem Objekt der Fürbitte und Gott als dem, an den sich der Betende mit seiner Bitte richtet? Lässt sich eine Wirkung feststellen, bringt das Gebet etwas? Mit einem auf objektive Daten fokussierten Blick ergibt sich zunächst keine hoffnungsvolle Antwort: Menschen, für die Fürbitte gehalten wird, etwa in Situationen von Not oder Krankheit, erfahren dadurch (in den allermeisten Fällen) keine Wunderheilung, nicht einmal eine empirisch gesicherte Verbesserung ihrer Situation. Das Gebet für die schwerkranke Nachbarin oder den Freund vor einer Prüfung verfehlt seinen scheinbaren Zweck, egal, ob sie vom Gebet wissen oder nicht. Doch selbst wenn die Frage nach der messbaren Wirkung die einzige wäre, die man zur Praxis des Fürbittgebets stellte, wäre es zu kurz gedacht, Fürbitten als überholte Tradition der Kirchen zu verwerfen. Wie so oft wählt der transzendente Gott nicht den direkten, aus menschlicher Sicht klar und unmittelbar verständlichen Weg, sondern spielt über Bande – in diesem Fall wird der betende Mensch selbst zu dieser Bande. Das stellvertretende Gebet zeigt an mehreren Stellen seine heilbringende Kraft für den Menschen, der es betet: Es reduziert unangenehme Emotionen wie Ärger oder Wut, auch in Situationen der Frustration oder Provokation. Menschen, die häufig Fürbitte halten, zeigen seltener aggressives Verhalten und sind eher davor gefeit, in den alltäglichen Situationen der Emotions- und damit der Selbstkontrolle zu ermüden oder sogar auszubrennen. In engen Beziehungen wie Partnerschaften und Freundschaften steigt die Bereitschaft zu vergeben und zu verzeihen. In einem größeren Rahmen betrachtet sind all diese Dinge von essenzieller Bedeutung für das menschliche Zusammenleben: Menschen, die ihren Mitmenschen auch bei Unstimmigkeiten wohlwollend begegnen können, die leichter verzeihen können und davon weniger erschöpft sind, können im Sinne des Evangeliums gemeinschaftsstiftend handeln. Das stellvertretende Gebet für den anderen, bedürftigen Menschen leistet einen wesentlichen Beitrag zum friedlichen Miteinander; es hilft uns dabei, das Zusammenleben im Geiste Jesu zu realisieren. Und dort, wo Menschen in Not auf eine lebensbejahende, unterstützende Umgebung stoßen, erfahren sie unter Umständen den Trost und das Heil, um das andere Gott für sie gebeten haben. Hier kann das Fürbittgebet also eben doch seinen ursprünglichen Zweck erfüllen, göttlichgenial über Bande gespielt, und strahlt weit über den einzelnen betenden Menschen hinaus. Kathrin Oel ist Psychologin, systemische Beraterin und Psychotherapeutin (i.A.). Hauptberuflich arbeitet sie mit suchtkranken Frauen, außerdem als freie Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pastoralpsychologie der ThF Paderborn. 18 SCHWERPUNKT

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