Jesuiten 2010-2

Juni 2010/2 Jesuiten 15 Die liberalen Verfassungen des 19.Jahrhunderts führten in Europa zu massiven Eingriffen des Staates in innerkirchliche Angelegenheiten. Im Namen von Religionsfreiheit und Toleranz wurde nun das Recht der Kirche auf ein Eigenleben, auf Verkündigung,Seelsorge und Erziehung vielfältig beschnitten. Und spätestens unter Pius IX.und seiner Sammlung von zeitgenössischen Irrtümern (1864),u.a. Religionsfreiheit,war der Bruch zwischen Kirche und Staat,Kirche und moderner Gesellschaft, besiegelt. Nur sehr langsam war es möglich,die erstarrten Fronten aufzuweichen:So führte die Lehrentwicklung von Papst Leo XIII.bis Johannes XXIII. fortschreitend zu einer Anerkennung der Menschenrechte.Aber erst dem II.Vatikanischen Konzil gelang 1965 – nach heftigem Ringen – mit der Erklärung zur Religionsfreiheit (Dignitatis Humanae) eine kopernikanische Wende. Nicht mehr die Wahrheit wird als Trägerin von Rechten angesehen und der Irrtum darf höchstens toleriert werden,sondern jeder menschlichen Person kommt – auf Tertullian zurückgreifend – das Recht auf Religionsfreiheit zu.Ein Recht,das in derWürde des Menschen als Ebenbild Gottes begründet ist,und somit inneren oder äußeren Zwang ausschließt.Dass die Kirche – obwohl an ihrem Wahrheits- und universalen Sendungsanspruch festhaltend – eine solche Aussage machen kann,liegt in ihrem tiefen Vertrauen auf den göttlichen Heilswillen und seineWahrheit. Sie hat erkannt, dass es in einer pluralistischen Welt ihre Aufgabe ist, Religionsfreiheit bedingungslos einzufordern und zu verteidigen.Nicht nur für ihre eigenen Gläubigen,sondern für alle Menschen.Bis zu dieser Einsicht war es ein langer,konfliktreicher und steiniger Weg. ■ Niccolo Steiner SJ Sitzung der Kirchenväter beim II.Vatikanischen Konzil im Petersdom © KNA-Bild

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