Jesuiten 2010-3

September 2010/3 Jesuiten 19 Schwerpunkt Ein Boom religiöser Selbsterfahrung Im Herbst 68 begann ich mit dem Philosophiestudium in Pullach.Zu der Zeit war unter den Jesuitenstudenten schon eine geistig – spirituelle Orientierungssuche im Gang. Meine Noviziatsjahre trugen noch den Stempel der Nachkriegszeit.Die geistliche Formung war stark kognitiv und willensbezogen.Durch die Einsicht sollte der Wille bewegt werden, sein Ja zu geben für eine Lebensweise,wie sie der Gesellschaft Jesu eigen war.Für eine solche rationale und weitgehend trockene Innerlichkeit kam die Bewegung der end-sechziger Jahre wie ein erfrischender Regen. Es war die Zeit,in der theologische Schriftsteller wie Ladislaus Boros es verstanden haben, religiöse Themen wie: Gemeinschaft, Liebe,Gott,Tod u.ä.sehr existentiell zu beschreiben.Damit weckten sie ein neues Gespür für Menschlichkeit. Ich erinnere mich, wie die einführendenVorlesungen in die Tiefenpsychologie ein attraktiverer Stoff der Auseinandersetzung in der Selbstsuche wurde.Durchleuchten der eigenen,tieferen Persönlichkeitsschicht,Modelle ihrer Genese und Struktur zu hören,war wie eine persönlicheWahrheitssuche. Dabei konnte es nicht ausbleiben,dass bisherige,fromme Gedanken z.B.über die eigene Berufung kritisch hinterfragt wurden.Für das Bedürfnis nach Selbsterkenntnis hatte die Tiefenpsychologie etwas Zufriedenstellendes,fast Mystisches an sich. Mit Neugier und Spannung nahm ich an der ersten Selbsterfahrungsgruppe auf der Basis gruppendynamischer Regeln teil.Ich wollte durch unbekannte Methoden eines solchen Gruppenprozesses und durch ungefilterte, gegenseitige Kritik mich selber besser kennen lernen. Mit nicht geringerem Interesse entdeckte ich auch die ersten Angebote von fernöstlicher, ungegenständlicher Meditation.Als Alternative zu den ignatianischen Betrachtungsübungen versprach sie ein Entdecken des Geheimnisses Gottes jenseits seines Wortes. Andere Mitstudenten setzten sich in einem ähnlichen,fast spirituellen Enthusiasmus mit soziologischen Theorien über Struktur und Funktionieren der Gesellschaft und ihre Rückwirkungen auf den Einzelnen auseinander.Es war ein breiter,gesellschaftlicher Hunger nach Neuem entstanden.Die Spannung zwischen gewohntem Denken und anderen Ideen war nicht immer leicht auszuhalten.Viele meiner damaligen Mitstudenten wurden durch diesen Hunger aus dem Orden hinausgezogen.Ich aber spürte bei aller Suche nach Neuem im spirituellen Leben in der überkommenen Tradition eine gewisse Heimat,die ich nicht aufgeben wollte. Heute würde ich sagen:Bei allem suchenden Umschauen haben wir schon Anteil am Gesuchten und stehen deshalb nicht am kompletten Anfang.Wir gehen auf neuen Wegen und finden das Alte, schon Gehörte und Verkündigte,das mit uns verbunden ist. ■ Ludwig Schuhmann SJ

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==