Jesuiten 2010-3

Schwerpunkt Wir waren so wahnsinnig neugierig Im Gespräch mit Werner Herbeck SJ Die 68er waren ja so etwas wie ein Befreiungsschlag. Was machte denn Befreiung aus in der damaligen Gesellschaft? Nach dem Aufbau in Deutschland,nach der Integration der Flüchtlinge,da fingen an den Universitäten Soziologen und Politologen an Fragen zu stellen:Wie war das eigentlich unter der Diktatur Hitlers,wie kamen Menschen dazu,alles zu erfüllen,was ihnen die Obrigkeit auftrug? Natürlich kam auch immer wieder die Frage:Was haben wir anderen angetan,was ist in den KZs geschehen?Was haben wir alles verbrochen? Die vielen Besuche der Studenten in den Konzentrationslagern blieben nicht ohne Wirkung. Und an den Universitäten waren junge Wissenschaftler, die sich Gedanken machten über Atomkraft,Aufrüstung,über die Umwelt.Viele Menschen an den Universitäten waren interessiert:Wie geht es eigentlich mit der Dritten Welt weiter? Wie beuten wir die Dritte Welt aus, können wir uns selber befreien aus diesen Ausbeutungskategorien der reichen Ersten Welt? Und dann in der Kirche die Befreiung von den ganzenVorgaben, die es da gab. Man darf nicht vergessen:In die 60er Jahre fiel auch das Konzil.Das war also nicht nur ein gesellschaftlicher Aufbruch an den Universitäten,sondern auch im katholischen Bereich gab es ganz hohe Erwartungen an das Konzil. Du warst zu der Zeit Studentenpfarrer.Was ist in den Studentengemeinden passiert? Ich war anderthalb Jahre Studentenseelsorger hier in Berlin und wohnte im feudalsten katholischen Studentenheim,das es zur damaligen Zeit in Deutschland gab.Damals musste jeder Student,der dort wohnte,an irgendeinem Arbeitskreis teilnehmen,und da waren viele,die sich mit politischen Themen beschäftigten und mit Reflexionen über die Kirche.In den Arbeitskreisen haben wir viel diskutiert über Gehorsamsfragen in der Kirche.Und da war ich ganz erstaunt und habe entdeckt,welche Fragen die jungen Studierenden an die Welt und an die Kirche hatten. Wir waren ja im Orden in unseren relativ offenen Gesprächskreisen an den eigenen Hochschulen in München und Frankfurt einigermaßen offene Diskussionen gewöhnt. Aber wir hatten doch nie solche Fragen,etwa an die Struktur der Kirche oder an die Autorität der Bischöfe.Das war so vorgegeben,das wurde uns auch nicht nahe gebracht in der Theologie damals. Aber die Studenten haben danach gefragt? Die Studenten haben dann aus ihren Seminaren die Fragen mitgebracht,die wir eigentlich hätten haben sollen,aber nicht hatten – oder nicht formulieren wollten oder konnten.Das waren engagierte Christen,die sich keiner Frage verweigerten. Welche Themen wurden noch diskutiert? Ich kann mich gut erinnern,dass eine der größten Auseinandersetzungen in den 60er Jahren war,als die Pille aufkam.Es gab vorher große Probleme bei katholischen Studenten mit der Sexualität,bei der Selbstbefriedigung. Ein Teil unserer Studentenarbeit bestand darin, dass wir uns in vielen Foren undVorträgen mit der neuen Sexualität beschäftigten. Zum ersten Mal nach dem Krieg ließen sich junge Leute nicht mehr von der Kirche vorschreiben,wie sie ihre Sexualität praktizierten. Das war mit großen Widerständen in den eigenen Familien und vor allem in den Pfar4 Jesuiten Schwerpunkt: 68 – Jahre des Umbruchs

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