Jesuiten 2010-3

6 Jesuiten Schwerpunkt: 68 – Jahre des Umbruchs Schwerpunkt Der Anfang der großen Ratlosigkeit 1968 war ich geistlicher Begleiter in unserem Studienhaus der Philosophie in Pullach.Auch wenn es keine Vorlesungs-Boykotts gab und keiner der Professoren aus dem Hörsaal getragen wurde,schwappte die 68erBewegung doch in unser Haus hinein.Ich erinnere mich,wie ein junger Mitbruder bei der ersten Nachricht von der StudentenRevolte in Berlin sagte:„Jetzt geht es los.“ „Es“ – das war der Aufstand gegen das etablierte System.Es lag in der Luft,jedenfalls in der Luft,die junge Leute atmeten.Mein Bruder,keineswegs ein Revolutionär,meinte: Wenn die Studenten nicht von sich aus aufgestanden wären,hätte man sie dazu ermuntern müssen.So rückständig hatte er die Universität damaliger Prägung empfunden. Ich selbst,eine Generation älter als die 68er, erlebte die Revolte nicht als den großen Einschnitt. Nazi-Regime und zweiter Weltkrieg hatten mich vor andere Fragen gestellt,als sie die 68er stellten.Ihnen ging es um Freiheit, um Infragestellung der Autoritäten.Es war ein Aufstand gegen die Alten, welche als diejenigen galten,die das Nazi-Regime nicht verhindert oder gar mitgetragen hatten. In der Kirche war das Konzil und im Orden die 31.Generalkongregation (1965/66) vorausgegangen.Beide Ereignisse brachten – unabhängig von der 68er-Bewegung – Befreiung von Über-Reglementierungen,unter denen man gelitten hatte.Sie brachten ein neues Klima.Man konnte Neues probieren.Wir,Junge wie Ältere,waren in einem großen Haus mit über 100 Jesuiten mehr mit den internen Veränderungen beschäftigt als mit den Vorgängen draußen. Heute sehe ich die Ereignisse 1968 im größeren Zusammenhang.Sie kommen mir wie die späte Welle einer Bewegung vor, die die Neuzeit bestimmt hat. Ihre Triebfeder war der Durst nach individueller Freiheit.Ihr Ziel die Emanzipation von jeder ArtVorherrschaft. Ihr Klima das Misstrauen gegen jede etablierte Autorität.Die Universitäten und die Kirchen, vor allem die katholische,waren die letzten Bastionen,die geschleift werden mussten,um diesen Durst zu stillen. Ausgeblendet blieb:Was ist der Sinn dieser Freiheit? Denn die Freiheit von Regulierungen kann nur einen leeren Raum herstellen. Sie gibt keine Antwort auf die Frage,womit dieser Raum zu erfüllen wäre.De facto wurde er durch die wirtschaftliche und technische Entwicklung mit einer Fülle von Angeboten angefüllt.Die Menschen waren beschäftigt, sich aus derVielfalt des Angebots das auszusuchen,was ihrem Geschmack entsprach.Aber materielle und kulturelle Quantität begründen keinen Lebens-Sinn.Nachdem die traditionellen Sinn-Autoritäten,die Kirchen und andere Kulturträger,ihre gesellschaftliche Autorität weitgehend verloren haben,ist die große Ratlosigkeit eingetreten. ■ Alex Lefrank SJ

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==