Jesuiten 2010-3

September 2010/3 Jesuiten 7 Schwerpunkt Vom Glück,den Aufbruch geerbt zu haben Als Erbe würde ich mich wohl bezeichnen, wenn ich auf meine Jugendzeit schaue und auf das Stichwort „68er“ angesprochen werde. Alles,was man mit den 68ern verbindet,fand wohl ohne mich statt,geboren 1961.Aber ich bin sicher,dass ich geerbt habe,dass ich und meine Altersgruppe sehr von dem Aufbruch der „68er“ profitieren konnten. 1973 kam ich mit 12 Jahren ans CanisiusKolleg und gehörte eben schon nicht mehr zu den 68ern – die Beatles waren schon „Oldies“, The Who längst nicht mehr skandalös. Und auch als Jugendlicher mit einigem rebellischen Potential – 1976 oder 1977 waren Vietnam, Woodstock,APO,Prag eher weit weg ...das interessierte mich nicht.Ich war aber der dritte von drei Brüdern am CK und zudem Sohn eines profiliert konservativenVaters – da wurde manches projiziert auf den 16-Jährigen. Politisch korrekt durften wir zu Hause nur von Berlin (West) und Berlin (Ost) sprechen,um deutlich die Einheit der Stadt zu betonen;wer West-Berlin sagte, hatte sich mit der Teilung abgefunden – „geh doch nach drüben“.Ich fand es albern,aber es hat mich bleibend beeindruckt.Es ging sehr grundsätzlich zu und manchmal polemisch in all den Debatten um die Anführungszeichen für die DDR, um die Atomkraft,um die Haftbedingungen in Stammheim,später der NATO-Doppelbeschluss.Die SPD mit Kanzler Schmidt war längst nicht mehr links;die Gründung einer neuen Partei aus der Umwelt- und Friedensbewegung heraus war nahe liegend und stand kurz bevor.In der Untersekunda haben wir fünfTage lang mit dem Jugendverband,zu dem ich gehörte (Katholische Studierende Jugend, KSJ) eine so genannte Spätschicht abgehalten und haben intensiv den Aufstand gegen das Notensystem in der Schule geprobt.Es war eine große Genugtuung,als wir in Chemie durch intensives (Nacht-)Studium plötzlich alle auf einem Niveau waren und der Lehrer schier verzweifelte – es war klar:Noten funktionieren nur im Konkurrenzkampf,ja begründen ihn ...und sind deswegen abzulehnen! Ich werde nie vergessen,wie später in der Oberstufe unser bester Matheschüler in einer Leistungskursklausur nach halber Zeit fertig war und dann ging,ohne die Klausur abzugeben – der verzweifelten Lehrerin erklärte er,dass es ihm genüge,alle Aufgaben richtig gelöst zu haben,die Note brauche er nicht.Und es war keine kokette „Spielerei“ – es war eine für das Abitur bedeutsame Arbeit.Da war eine Ernsthaftigkeit,die mich geprägt hat;das waren Provokationen,die es aus meiner Sicht in sich hatten,die etwas bewirkten.Aber,so sehe ich das jetzt,es war eine „geerbte“ Kultur des Dagegen-Seins,eine Art Glücksfall.Dass wir uns engagierten oder protestierten,mussten wir uns nicht mehr erringen.Und wie wir die Dinge angingen,wurde vielfach sogar geachtet, auch wenn wir mit den Inhalten bei Eltern und Lehrern nicht landen konnten.Nein,ein 68er bin ich nie gewesen. Wenn wir in diesen Wochen und Monaten mit besonderer Aufmerksamkeit auf die Missbrauchsfälle unter anderem an Jesuitenschulen in Deutschland schauen,schauen wir auch auf diese Zeit der „Aufbrüche“ an den Schulen und im Orden in den 70er und frühen 80er Jahren.Und da erinnere ich dann eine gespaltene „Gesellschaft“ an meiner alten Schule,auch eine gespaltene „Gesellschaft Jesu“.Da waren deutlich die einen und die anderen,ohne dass ich wusste oder heute weiß,wie es sich so leben und arbeiten ließ gemeinsam.„Kreidestaub fressen“ in der letzten Bastion vor dem eisernenVorhang; die „letzte freie Schule zwischen Elbe und

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