Jesuiten 2010-4

14 Jesuiten Schwerpunkt: Heiliger Alltag Schwerpunkt Alltag in Bethlehem Innerhalb der ersten paar Wochen meines Tertiats in Palästina gehe ich in Bethlehem spazieren.Ein etwa achtjähriger Junge spricht mich auf Englisch an: „Hello! Where do you come from?“ Ich antworte (etwas stolz,ein paar der Worte anbringen zu können, die ich gelernt habe) auf Arabisch: „Ana almanie“ („Ich bin Deutsche“).Der Junge lächelt – ein Lächeln,das ich nicht so schnell vergessen werde.Ich denke mir,dass ich vermutlich eine lustige Aussprache habe. Ganz sicher sogar. Aber gleichzeitig habe ich nicht den Eindruck,dass der Junge mich auslacht.Denn er lacht nicht,sondern er lächelt wirklich.Wir unterhalten uns noch ganz kurz und einfach, und jedes Mal,wenn ich auf eine englische Frage mit meinem unbeholfenen Arabisch antworte,lächelt der kleine Kerl wieder über beide Ohren.Schließlich gehen wir beide unseres Weges. Ich denke ein wenig nach,was da geschehen ist,und beginne zu ahnen,dass dieses Lächeln etwas damit zu tun hat,dass ich,eine Europäerin,eine Fremde,versucht habe,mit ihm Arabisch zu sprechen.Mir wird bewusst, dass Sprache etwas mit Würde zu tun hat. Die Palästinenser lernen nämlich früh fremde Sprachen,besonders Englisch,um mit den Touristen in Kontakt zu kommen.Normalerweise sind sie es,die die Sprachen der anderen lernen.Kaum jemand lernt ihre.Ich glaube, deshalb hat dieser Junge sich so gefreut.Und ich habe mich natürlich auch gefreut,weil ich mich wahnsinnig fremd gefühlt habe und das fast die ersten Worte Arabisch waren, die ich zu sagen wagte.Mit der für mich beeindruckenden Wirkung, dass dieses Kind mich mit seinem Lächeln willkommen geheißen hat.„Ich war fremd,und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35).Werke der Barmherzigkeit sind gegenseitig.Sie geschehen in Beziehung.Wir alle brauchen Barmherzigkeit. Mein Dienst im Sommer dieses Jahres bestand darin,im Caritas Baby Hospital in Bethlehem im Büro für Öffentlichkeitsarbeit mitzuarbeiten.Konkret bedeutet das:ich habe viele deutschsprachige Pilgergruppen durchs Hospital geführt und viele Spenden entgegengenommen.Das Krankenhaus existiert zu 93% auf Spendenbasis und ist auf etwa 6 Mio.Euro im Jahr angewiesen,um die Babys und Kinder aus Bethlehem,Hebron und Umgebung gut versorgen zu können. Zweifellos ist diese Einrichtung ein Ort der Barmherzigkeit,denn für viele Eltern bietet sie die einzige Möglichkeit,medizinische Hilfe für ihr Kind zu finden.Was könnte es für Eltern Schlimmeres geben,als ihr Kind leiden und sterben zu sehen,weil sie sich den Arzt nicht leisten können? Dies aber stellt bei einer Arbeitslosenquote von 50-70% eher die Regel denn die Ausnahme dar.So kommt es,dass das Hospital mehr denn je ausgelastet ist,obwohl das Einzugsgebiet aus politischen Gründen immer kleiner geworden ist.Das Baby Hospital ist eine Art Caritas-Zentrale,und wer immer dafür arbeitet, hat Anteil an diesem großen Werk der Barmherzigkeit. Es ist eine Gnade, an so einem Werk – wenngleich nur für kurze Zeit – mitwirken zu dürfen. Dennoch denke ich nicht zuerst an das Werk der Barmherzigkeit,Kranke zu besuchen und zu pflegen,wenn es um Palästina geht. Vielmehr denke ich an jenes Wort Jesu: „Ich war im Gefängnis,und ihr seid zu mir gekommen“ (Mt 25,36).Denn in Palästina ist ein ganzes Volk im Gefängnis: eingeschlossen im eigenen Land vom israelischen Gegner

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==