Jesuiten 2011-2

18 Jesuiten Schwerpunkt: Liebe Schwerpunkt Liebe liegt im Vertrauen, in der Kraft des Durchhaltens Interview mit dem aus Deutschland stammenden Pater Klaus Riesenhuber SJ (72), emeritierter Philosophieprofessor an der Sophia-Universität in Tokio Wie geht es Ihnen derzeit in Japan? Im Wesentlichen ist die Lage seit dem großen Erdbeben unverändert. Die Gefährdung durch die Unfälle an den Atomreaktoren steht öffentlich im Vordergrund, aber der Herd der Angst, die keinem erspart bleibt, liegt in den täglichen Erdbeben. Ihre Stärke, ihr Wann und Wo lässt sich nicht vorhersehen, da gibt es keinen Schutz. Wenn man ins Bett geht, weiß man nicht, was die Nacht bringen wird. Die sichere Selbstverständlichkeit des normalen Lebens, die ist stark angeschlagen. Wie gehen Sie mit dieser Angst um? Wir leben angespannt, aber nehmen die Lage hin, wie es ist, wir versuchen es jedenfalls. Das Geschehen ist zu übermächtig, als dass man es durch Fragen nach seinem Grund und Sinn begrenzen oder von sich distanzieren könnte. So zu fragen wäre zu diesem Zeitpunkt reiner Luxus. Die akute Bedrohung hält sich vermutlich in Grenzen, aber jeder weiß, dass alles Mögliche plötzlich passieren kann. Dass wir so aus der Alltäglichkeit aufgeschreckt sind, hat auch etwas Gutes: Durch diese Tatsache ist unbestreitbar klar, dass nichts von dem, was wir alltäglich gebrauchen und beanspruchen, selbstverständlich ist, etwa dass die Milch morgens auf dem Tisch steht, dass es Strom und Wasser gibt, dass wir gesund sind. Das gibt eine größere Unmittelbarkeit zur Wirklichkeit: Jedes Ding, jedes Ereignis zeigt von sich her, dass es auch nicht sein könnte, dass es gegeben ist, mir gegeben, damit ich mich darein finde. Da die eigene Macht nun höchst begrenzt ist, geht es darum, alles erst einmal hinzunehmen, wie es ist, nämlich als Geschenk, in dem ein mir vorgegebener Sinn mich beansprucht. Das fängt mit der Zeit, jeder Stunde und Minute an, die ich ja nicht hervorbringen, sondern nur dankbar annehmen kann, und alles ist mir doch nur in der Zeit gegeben. Wie können Sie die Katastrophe mit der Liebe Gottes übereinbringen? Jedes faktisch Gegebene ist jedenfalls mir gegeben, denn ich kann mich ihm nicht entziehen – wenn das Zimmer wackelt, die Bücher vom Regal fallen, die Züge nicht fahren. In dieser Unausweislichkeit steckt ein Anruf, denn ich muss mich ja dazu verhalten, muss die Situation in irgendeinem Sinn beantworten. Und richtig kann meine Antwort nur sein, wenn ich im Gegebenen für einen Sinn offen bin, den ich mir nicht aneignen kann, also im Geschick ein Sinnangebot, ein Gutes bejahe, das mir für mich gegeben ist, aus dem ich also ohne Selbst- und Wirklichkeitsverneinung ich selbst sein darf und sein kann. Wenn ich nur den Standpunkt vermeintlichen Recht-Habens aufgebe – der das faktisch Gegebene doch nicht außer Kraft setzen kann –, zeigt sich in jeder Situation, dass eine Bejahung meiner selbst und, davon ungetrennt, eines fundamentalen, wenn mir auch noch unbekannten Guten, als des Ursprungs meiner Situation, tatsächlich möglich ist.

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