Jesuiten 2011-2

22 Jesuiten Geistlicher Impuls Geistlicher Impuls Gotteserfahrung Und wenn mir alles das, was mir von Gott erzählt wird, zu wenig ist? Was ist, wenn ich langsam den Verdacht bekomme, dass ich mir Gott doch irgendwie nur einrede, so lange mein „Ich glaube“ spreche, bis es mir halbwegs plausibel erscheint zu glauben? Was ist, wenn ich nicht mehr leben will von der spirituellen Schmalspurdiät von eingeredeten Bekenntnissen und schöngetexteten Gebeten? Eine Kerze vor sich stellen, warten bis ich still werde und das, was ich fühle, wenn der Kreislauf runtergeht: Das soll Gotteserfahrung sein? Geistliches Leben braucht geistliche Erfahrung. Aber was ist das? Das Stichwort Mystik fällt immer wieder und wird verbunden mit tiefen meditativen Einsichten oder Gefühlen. Aber worin besteht denn Erfahrung mit Gott? Kann das denn sein, dass der Gott, von dem es heißt, dass wir immer in seiner Umarmung geborgen sind, sich vor allem in spirituellen Sondersituationen offenbart? Sehnsucht nach Gemeinschaft Gotteserfahrung muss Qualität haben, sie muss das Herz berühren – und was berührt mehr, als die Erfahrung, nicht allein zu sein? Was drängt uns mehr als die Sehnsucht nach Gemeinschaft? Wenn Gott die Liebe ist, dann erfahre ich ihn doch dort, wo ich liebe oder geliebt werde, dann spricht er dort in meinem Leben, wo ich mich nach Liebe sehne. In der Gemeinschaft, in Freundschaften, in Beziehungen ist Gott gegenwärtig. Es ist ein bisschen wie bei den Emmaus-Jüngern. Sie erkennen Jesus nicht, aber die Gemeinschaft, das Teilen von Erfahrungen, das Einander-Begleiten bringt sie dazu, im Nachhinein zu sagen: „Brannte da nicht unser Herz?“ Wenn Ihnen Gebete nichts mehr sagen, wenn Meditation nach einem langen Arbeitstag einfach nicht möglich ist, wenn kein Wort Sie mehr erreicht, dann ist die beste Rückbesinnung auf Gott das Hinhören auf das, was das Herz berührt. Beten ist nicht das ganz bewusste Denken an Gott. Beten ist die Entdeckung, dass Gott mir nicht fremd ist und seine Gegenwart nicht erst meditativ erarbeitet werden muss, sondern dass er schon immer Teil meines Lebens ist. Liebe, Freundschaft, Zuneigung werden nicht dadurch spirituell geadelt, dass ich dabei denke „Und da ist jetzt Gott“, sondern dadurch, dass ich sie von Herzen genieße. Das Gefühl, dass etwas fehlt, wenn niemand da ist, ist nicht einfach Langeweile, sondern die ursprünglichste Sehnsucht nach Mehr, nach etwas, das das Leben hell macht – nach Gott. Glaube an die Liebe Aber ist das nicht auch wieder nur eingeredet? Ist es nicht geschummelt, wenn ich jetzt einfach auf die schönste Dimension des menschlichen Lebens das Etikett „Gotteserfahrung“ draufklebe? Dann eben noch einen Schritt weitergehen. Was wäre so schlimm daran, wenn man das eigene „Ich glaube an Gott“ durch etwas ersetzt, woran man vielleicht viel unmittelbarer glaubt? Wäre es wirklich ein Verlust, wenn man z. B. erst einmal sagte „Ich glaube an die Liebe“? Und zwar nicht als Gefühl, sondern

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