Jesuiten 2012-1

März 2012/1 Jesuiten 9 der Traditionskultur gewisse Faktoren ausgeblendet bleiben. In den Anfängen der Gesellschaft Jesu gibt es ebenfalls zahlreiche Elemente von Entweltlichung: Ignatius auf dem Krankenbett, Ignatius in Manresa, seine Pilgerfahrt nach Jerusalem sowie die Fernostreise und der einsame Tod von Franz-Xaver. Die historischen Fakten sollen nicht in Zweifel gezogen werden, zumal Ignatius dabei zentrale Momente wichtig geworden sind, welche die weitere Entwicklung der Gesellschaft Jesu mitprägten.Allein die Ikonographie bestätigt aber, dass diese Elemente bereits seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert zu Merkmalen jesuitischer Identität aufgebaut und zu „Schlüsselsymbolen“ gemacht wurden. Dabei war der Werdegang von Ignatius und den ersten Jesuiten auch von anderen Faktoren bestimmt.Man denke an die gut zehn Jahre,die Ignatius im Dienste des königlichen Grossschatzmeisters Velázquez de Cuéllar verbracht hat. Ignatius kam dort mit dem Hof des spanischen Weltreiches in Berührung, das damals in der Verwaltung europaweit führend war. Dort verschaffte sich Ignatius das Rüstzeug für die Entwicklung einer Infrastruktur, mit der sich später der global ausgerichtete Orden zusammenhalten ließ. Ignatius und die meisten ersten Gefährten durchliefen ihre akademische Ausbildung in Alcalá, der Hochburg des spanischen Humanismus, im traditionsträchtigen Salamanca und schließlich in Paris, der damals renommiertesten Universität Europas – die damals modernste und solideste akademische Bildung war ihnen allen ein wichtiges Anliegen. Dass Ignatius als Student auf seinen Betteltouren in Flandern und England nicht mit der hohlen Hand vor Kirchtüren stand, sondern in ein europaweites Netzwerk spanischer Großkaufleute trat, ist schon länger bekannt. Er hat sich aber auch den Erlös in einemWechselbrief gutschreiben lassen, in Paris eingelöst und sich damit des damals modernsten Finanztransaktionssystems bedient. Franz-Xaver ist wohl einsam auf der Insel Sanzian gestorben, aber er ist vorher mit einem der technisch bestentwickelten Segelschiffe in der vornehmsten Kajüte dorthin gelangt. Dahinter stand ein portugiesischer Kaufmann, der sich erhoffte, mit Franz-Xavers Unternehmen eine Handelsniederlassung in China einzurichten, was seiner und PortugalsWirtschaftsmacht riesigen Auftrieb gegeben hätte. Er war es, der Franz-Xaver 2100 kg Pfeffer zur Verfügung stellte, womit dieser einen Chinesen für die Überfahrt aufs Festland bestechen konnte. Diese Beispiele fallen nicht in die Kategorie der Entweltlichung und spielen in den üblichen historischen Darstellungen eine erstaunlich geringe Rolle, obwohl sie die Lebensumstände der ersten Jesuiten über lange Zeit stark prägten, und obwohl zu deren Umfeld in letzter Zeit viele Studien gemacht wurden. Die Ursprünge und der Erfolg der Gesellschaft Jesu liegen gerade auch in der Inanspruchnahme der damals neuesten Errungenschaften und Infrastrukturen. Dass diese ihren Werdegang weniger mitbestimmt hätten als die Elemente der Entweltlichung,ist nicht schlüssig und eher das Ergebnis retrospektiver und selektiver Interpretation. Zwei Faktoren bilden das Fundament kirchlicher Reform. Beides schließt sich nicht nur nicht aus, ergänzt sich nicht nur, sondern beides ist eng miteinander verzahnt, ja geradezu untrennbar verschmolzen: „Entweltlichung“ und „Verweltlichung“. Paul Oberholzer SJ

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