Jesuiten 2012-1

10 Jesuiten Schwerpunkt: Entweltlichung – Verweltlichung Schwerpunkt Distanz zur Welt? Distanz zur Welt – Ursache für oder Mittel gegen sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche? Überlegungen des Generalvikars von Osnabrück. Das Jahr 2010 mit den aufgedeckten Fällen sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Mitarbeiter hat eine tiefe Spur der Erschütterung in der Kirche unseres Landes hinterlassen.Verunsicherung zeigt sich in vielen Bereichen. Es gibt nach wie vor Gesprächsbedarf, etwa über unserVerhältnis zur modernen Gesellschaft. In der Welt und doch nicht von der Welt zu sein, ist unser bleibender Auftrag. Wie kann eine Positionierung aussehen? Jeder einzelne Fall von sexualisierter Gewalt in der Kirche ist ein Widerspruch zu ihrem Sendungsauftrag, Menschen zum Glauben zu führen, also zumVertrauen auf Gott.Wenn Menschen in der Kirche, die ja Zeichen undWerkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott ist (Lumen gentium 1), Erfahrungen von missbrauchtem Vertrauen machen müssen, wie können sie dann noch darin ermutigt und bestärkt werden, auf Gott zu vertrauen? Die Kirche muss also auch aufgrund ihres Sendungsauftrags mit aller Kraft verhindern, dass sexualisierte Gewalt in ihr geschieht. Da die Kirche aber immer auch „Kirche der Sünder umfasst“ (Lumen gentium 8), wird es wohl auch weiterhin und trotz aller schon ergriffenen und noch zu ergreifenden Präventionsmaßnahmen sexualisierte Gewalt in ihr geben. Sie ist auch hier „stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung“ (Lumen gentium 8). Dass die Kirche diesen Weg der Erneuerung gehen muss, ist Konsens. Welche konkreten Wege zielführend sind, darüber gibt es Kontroversen. Diese beruhen wesentlich auf einer unterschiedlichen Bewertung der Ursachen für die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bei Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen sehen so manche Anwesende in der so genannten sexuellen Liberalisierung nach 1968 eine, wenn nicht die Ursache für die zahlreichen Fälle sexuellen Missbrauchs in den Folgejahren.Richtig daran ist,dass sexueller Missbrauch nicht allein ein kircheninternes Phänomen und Problem ist, sondern ein gesamtgesellschaftliches.Auch ist nicht zu übersehen, dass sich familiäre Strukturen in den vergangenen 40 Jahren in Deutschland massiv verändert haben mit der Folge von Familiendysfunktionen. Nicht zu leugnen ist weiter, dass eine in dieser Zeit entwickelte emanzipatorische Sexualerziehung von selbsternannten „Anwälten kindlicher Sexualität“ für eigene pädophile Interessen missbraucht worden ist.Als Konsequenz aus diesem Sachverhalt wird nun bisweilen behauptet, wenn die Kirche stärker auf Distanz zur Gesellschaft ginge, würde dies sexuellem Missbrauch in den eigenen Reihen wirksamer vorbeugen. Dem gegenüber steht die Erkenntnis, dass bei sexuellem Missbrauch meist nicht das Sexuelle im Vordergrund steht, sondern „sexueller Missbrauch ist Machtmissbrauch“ (Ursula Enders). Ebenso wichtig ist es, zwischen sexuellem Missbrauch und Pädophilie zu unter-

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