Jesuiten 2012-1

März 2012/1 Jesuiten 11 scheiden. Nur ein Bruchteil der Missbrauchstäter ist tatsächlich pädophil. Durch die umfangreiche öffentliche Diskussion ist deutlich geworden: Zumeist handelt es sich um „Ersatzhandlungstäter“ aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld, die sexualisierte Gewalt anwenden. Die Popularisierung des Themas und die Stärkung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung haben nicht zur Zunahme der Fälle geführt, sondern zur Zunahme der Zahl der bekannt gewordenen Fälle, auch in der Kirche (bei der Annahme einer gleichbleibenden Dunkelziffer): „In den letzten Jahrzehnten fand eine enorme gesellschaftliche Enttabuisierung der Sexualität statt, was sich in derVeränderung der Gesetze und Rechtsprechung niederschlägt. Seit die Opferrechte zunehmend Stärkung erfahren, wagen sich Menschen aus ihrer Isolation, um zu berichten, was ihnen angetan wurde.“ (Ursula Gasch) . DieserWandel der Sichtweise vollzieht sich jedoch in der katholischen Kirche zeitversetzt. Ursula Gasch sieht eine Begünstigung sexueller Übergriffe und deren Vertuschung durch kircheninterne Strukturen: „Hingegen trug der bislang innerhalb der Kirche vorherrschende, durch Verdrängung und Verleugnung geprägte Stil im Umgang mit dem Thema Sexualität an sich und der Problematik sexuellen Missbrauchs insbesondere dazu bei, dass sich Täter relativ unbehelligt hinter dem Schutz kirchlicher Strukturen verstecken konnten.“ Die Kirche hat im letzten Jahr nach dem Bekanntwerden zahlreicher Fälle von sexualisierter Gewalt in ihrem Bereich,angestoßen durch Pater Klaus Mertes SJ, Richtiges getan: Sie hat Fachkompetenz „von außen“ in Anspruch genommen und sich die Erfahrungen von zahlreichen Fachfrauen und -männern, die sich schon seit Jahren in unserer Gesellschaft für die Prävention einsetzen und um Betroffene sorgen, zunutze gemacht. Daraus erwachsen sind konkrete Regelungen und Praxishilfen,die sexualisierte Gewalt in Gemeinden, Schulen, Internaten, Jugendverbänden und karitativen Einrichtungen verhindern wollen, indem sie für Strukturen und Symptome sensibilisieren und den dort Verantwortlichen Verhaltensregeln für den Umgang mit Grenzverletzungen geben. Wichtiger ist noch, dass das Thema in fast allen kirchlichen Einrichtungen aus der Tabuzone geholt wurde. Für eine glaubwürdigeVerkündigung sind Informationen und kritische Anfragen „von außen“ für die Kirche lebensnotwendig. Der Dialog mit der Welt war und ist für die Kirche auch Hilfe und Stütze. Der Kirche darf es aber nicht nur um sich selbst gehen.Aus ihrer religiösen Sendung fließen „Auftrag, Licht und Kraft, um der menschlichen Gemeinschaft zu Aufbau und Festigung nach göttlichem Gesetz behilflich zu sein“ (Gaudium et spes 42). Daher ist es der Kirche auch aufgegeben, gegen sexualisierte Gewalt als gesamtgesellschaftliches Phänomen anzugehen. Diese Aufgabe kann sie leisten, wenn sie dreiVoraussetzungen erfüllt: Sie muss eigene Fehler zugeben und korrigieren können; sie muss transparent und glaubwürdig mit Opfern und Tätern sexualisierter Gewalt in eigenen Einrichtungen umgehen; und sie darf sich nicht von der Gesellschaft distanzieren, sondern muss in ihrer Mitte stehen und gegen das Auseinanderbrechen des Evangeliums, das zu verkünden ihr aufgetragen ist, und der Welt, der Gesellschaft arbeiten. Theo Paul

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