Jesuiten 2012-1

20 Jesuiten Schwerpunkt: Entweltlichung – Verweltlichung Schwerpunkt Bevormundung oder Partnerschaft Das schwierige Verhältnis zwischen Kirchenhierarchie und engagierten Katholiken in Politik und Gesellschaft Das Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischen Entscheidungen katholischer Mandatsträger und dem Wahrheitsanspruch des katholischen Lehramts bricht sich an vielen Orten in unterschiedlicher Intensität Bahn. So kann man den harmlosen Satz von Kardinal Meisner vernehmen: „Was christlich ist, kann nicht die CDU definieren, das machen wir!“ Andernorts wird gar mit Drohungen gearbeitet: „Katholische Abgeordnete, die sich im Parlament für das In-Vitro-Gesetz aussprechen, müssen mit der Exkommunikation rechnen!“, so der Erzbischof Henryk Hoser (Warschau-Praga). Hoch offiziell hat sich 2002 die Glaubenskongregation mit einer Lehrmäßigen Note zu diesem Thema Gehör verschafft. Überspitzt gesagt geht es in dieser Note darum, in festgelegten Politikbereichen das Gewissen katholischer Politiker an die Lehre der Kirche zu binden. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass das Bekenntnis zum freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat gegen die Kirche erkämpft werden musste. Die Idee des Gottesgnadentums führte dazu, dass die Kirche über Jahrhunderte eine autoritäre Staatsform propagierte. Dabei wurde übersehen: Es gibt eine theologische Zwangsläufigkeit von der Vorstellung des Menschen als Ebenbild Gottes zu seiner Freiheit, die sich äußert in seinem Engagement in der Welt, in seinem Recht auf Mitbestimmung, in seinen einklagbaren Grundrechten. Dies brachte das 2. Vatikanische Konzil mit seinem Bekenntnis zum freiheitlichdemokratischen Rechtsstaat wieder ansTageslicht. In diesem Sinne waren dieVerlautbarungen des Konzils ein Durch-Bruch, ohne dass es sich bei ihnen um einen Bruch mit der eigenen Tradition handelte. Das Konzil führte die Kirche aus dem Irrgarten manch falscher theologischer Schlussfolgerungen heraus. Die Aufforderung, sich in Staat und Gesellschaft zu engagieren, war nicht neu, jedoch erschien diese Aufforderung durch den positiveren Blick auf die Welt in anderem Licht. In diesem Licht tritt das Spannungsfeld Politik – Religion noch klarer zutage. Denn nehme ich meinen Glauben ernst, dann ist dessen Kern tatsächlich jeder Mehrheitsentscheidung entzogen. Der demokratische Parlamentarismus bedarf jedoch eines anderen Diskurses. Hier vollzieht sich die Suche nach „Wahrheit“ in der parlamentarischen Debatte, in der Kompromissfindung und im Abwägen. Mehrheitsentscheidungen sind nicht per se verwerflich, und wer Kompromisse immer mit dem Attribut „faul“ diskreditiert, hat von Demokratie und Parlamentarismus nichts verstanden. Sicher, auch unser Verfassungsstaat kennt Aspekte, die Mehrheiten nicht antasten dürfen: die Grundrechte des Einzelnen, welche zu recht mit der sogenannten Ewigkeitsklausel geschützt sind. Aber Fragen, die über diese Grundrechte hinausgehen, müssen im parlamentarisch-demokratischen Diskurs beantwortet werden. Die Erfahrung lehrt, dass der politische Entscheidungsprozess gerade in gesellschaftlichen Fragen durchaus zu „besseren“ Ergebnissen

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