Jesuiten 2012-2

Juni 2012/2 Jesuiten 19 ziger und Mitte der sechziger Jahre Geborenen waren die ersten Akademiker aus ihren Familien und wissen daher, was sie sich selbst abverlangt haben und wie sich vor allem die Mütter krummgelegt haben, damit der Sohn oder die Tochter aufs Gymnasium gehen konnte. Sie können daher nicht nachvollziehen, dass es Eltern aus bildungsfernen Milieus offenbar ziemlich gleichgültig ist, was aus ihren Kindern wird. Jedenfalls sehen sie nicht ein, dass sie ihre eigenen Nachkommen als Motivationsvehikel für die Nachkommen anderer zurVerfügung stellen sollen. Es ist eine sozialmoralische Ansteckungsangst, die sie zu einem bildungsprotektionistischen Verhalten treibt. Es geht um das Familienmotiv und denVererbungswillen. Denn die Mitglieder der „neuen Mitte“, die bisher oft Grün in der Kombination mit Rot oder Schwarz gewählt haben, haben nicht Vermögen und Besitz, sondern Bildung und Wissen zu vererben. Besonders für die Virtuosen zweiter Bildungswege kommt es deshalb einer Katastrophe gleich, wenn die Tochter oder der Sohn unter dem Bildungsabschluss der Eltern bleibt. Das können Familien mit Bildungsadel in der dritten und vierten Generation viel lockerer sehen: Am Ende entscheidet nicht der Bildungstitel, sondern das Weltwissen über die Zukunft der Sprösslinge. Solche Ruhe würde viel helfen. Vielleicht haben die Anderen, die man so voller Angst und Sorge um die Zukunft der eigenen Kinder flieht, doch auch etwas zu bieten. Denn in einer Schule, in der man mehr oder minder unter sich ist, kann man nicht lernen, mit Menschen zurechtzukommen, die ganz andere Vorstellungen davon haben, was im Leben wichtig ist. Die Pluralität einer Gesellschaft ist doch nur dann belastbar, wenn man mit Respekt auch jenen begegnet, die einem fremd und unheimlich sind. Sonst regiert nur noch das Prinzip der Selbstähnlichkeit, das über geschlossene Beziehungs- und Heiratsmärkte, über gereinigte Bildungsinstitutionen und distinktive Sportclubs, die Gesellschaft auf Dauer spaltet. Ein anspruchsvoller Begriff von Bildung versteht Bildung auch nicht als eine Ressource engherziger Selbstdurchsetzung, sondern als Bereitschaft, sich dem Anderen auszusetzen und sich für allgemeine Gesichtspunkte offen zu halten. Darin steckt ein Sinn für Verschuldung, die den Narzissmus der unbedingten Selbsterhaltung in Frage stellt. Heinz Bude

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