Jesuiten 2012-2

Juni 2012/2 Jesuiten 3 seine Quellen ständig kritisch hinterfragen: „Wie ist es gekommen, dass ich so denke, wie ich denke? Will ich eigentlich denken, was ich denke?“ Bildung beginnt mit dem Appell „Erkenne dich selbst!“, der den Apollo-Tempel in Delphi schmückte. Und damit hängt der Leitspruch der Aufklärung zusammen: „Wage es, deinen eigenen Verstand zu benutzen!“ Die Geschichte europäischer Aufklärung beginnt nicht in der Moderne, sondern in der Antike. Der vielbeschriebene Übergang vom Mythos zum Logos ist auch die Geburtsstunde der Idee der Bildung. Die Hebammenkunst des Sokrates ist es gerade, dem anderen beim Gebären seiner ureigenen Gedanken zu helfen, sich zu lösen vom Hörensagen und dem Geplapper auf dem Marktplatz der Meinungen. Es geht dabei nicht um passives Faktenwissen, sondern um das Erlernen der begrifflichen Werkzeuge, um das Leben zu prüfen: naive Überzeugungen kritisch zu hinterfragen, sei es naiver Glaube an esoterische Erlösungslehren oder naive Wissenschaftsgläubigkeit.Bildung heißt also,innerlich wach zu sein, nicht leicht verführbar, sondern sogar im guten Sinne skeptisch zu sein. Die Motivationsforschung hat gezeigt, dass unabhängig von der Kultur fast alle Menschen nach drei Zielen streben: mehr Autonomie, mehr Kompetenz, mehr Einbettung in einen Sinnzusammenhang. Menschen wollen selbstbestimmt, frei und ohne Bevormundung leben. Menschen wollen kompetent sein und lernen. Schließlich wollen Menschen, dass ihr Tun und Handeln einen Zweck hat, dass es eingebunden ist in einen größeren Zusammenhang.Alle drei Ziele lassen sich nur durch Bildung erreichen. Bildung erlaubt Selbstbestimmung, Bildung vermittelt Kompetenz, Bildung eröffnet einen größeren Sinnzusammenhang. Aber wenn das so ist, dann besteht die Aufgabe der jesuitischen Pädagogik eigentlich nur darin, dieses dreifache Verlangen im Schüler zu stärken und zu nähren. Der Pädagoge ist eben eine „Hebamme“ im sokratischen Sinne. Godehard Brüntrup SJ

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