Jesuiten 2012-3

12 Jesuiten Schwerpunkt: Vergessen Schwerpunkt Menschliche Identität und ewiges Leben – trotz Demenz? Ein an Alzheimer-Demenz erkrankter Mensch vergleicht sich und seine Situation: „Es ist als wäre ich auf einer einsamen Insel mitten im Ozean.“ Der Betroffene weiß nicht, ob jemand wirklich weiß, dass er sich auf dieser Insel befindet oder ob ihn jemand abholen wird. Das Bild der Insel im Ozean beschreibt die Isolation des Erkrankten:Weder die engsten Freunde oderVerwandten noch der geliebte Partner können wiedererkannt werden. Mit dem Verlust jeder Erinnerung steht immer mehr die eigene Identität in Frage: Wie kann sich der erkrankte Mensch noch mit seiner eigenen Geschichte, mit prägenden Ereignissen und ihm verbundenen Menschen identifizieren und daraus seine Identität gewinnen, wenn ihm allein eine isolierte Gegenwart bleibt? Philosophen, die das Personsein des Menschen ausschließlich an ein funktionierendes Selbstbewusstsein binden, gehen soweit, einem an Demenz erkrankten Menschen das Personsein und die damit verbundenen Grundrechte abzusprechen. Für die christliche Tradition sind die Identität des Menschen und seine personale Würde nicht auf ein funktionierendes Bewusstsein und auf das Erinnerungsvermögen des Menschen reduzierbar, sondern grundgelegt in der Gottebenbildlichkeit des Menschen und der damit verbundenen partnerschaftlichen Beziehung Gottes zum Menschen. Dieses partnerschaftliche Verständnis menschlicher Identität prägt auch die christliche Hoffnung auf ein Leben nach demTod: Unsere Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ist darin begründet, dass Gott treu ist und sich unserer erinnert, wie er sich in Treue seines am Kreuz gestorbenen Sohnes erinnert hat.Wenn wir von der Seele des Menschen als dem Identitätsträger über den Tod hinaus sprechen, dann ist damit auch eine Bestimmung des Menschen zum Dialogpartner Gottes gemeint, die unzerstörbar ist. DerVerlust des Gedächtnisses und der Erinnerungen kann diese grundlegende Identität des Menschen über den Tod hinaus nicht in Frage stellen. Zum christlichen Glauben an das ewige Leben gehört auch dieVorstellung einer richtenden Begegnung mit Gott. Der Gedanke an das Gericht Gottes war lange Zeit in der Geschichte vor allen Dingen mit einem Schreckensszenario und der Drohung einer ewigen Verdammnis des Menschen verbunden. Dieses Bild des Gerichts muss jedoch korrigiert werden: Von seinen biblischen Ursprüngen wendet sich der Gerichtsgedanke gegen das Vergessen aller unmenschlichen Geschehnisse, die unsere Freiheitsgeschichte prägen. Gott wird die Kleinen, die Armen und die Opfer der Geschichte nicht vergessen. Das Ende der menschlichen Geschichte wird dadurch geprägt sein, dass Gott endgültig seine heilende und versöhnende Gerechtigkeit aufrichtet. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Gott seinem Sohn das Gericht übertragen hat: Der Sinn der Gerichtsbotschaft liegt in der hoffnungsvollen Erwartung der rettenden Wiederkunft des Menschensohnes Jesus Christus. Er wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Der Menschensohn Jesus ist jedoch der „gerichtete Richter“ (Hans Urs von Balt-

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