Jesuiten 2012-3

14 Jesuiten Schwerpunkt: Vergessen Schwerpunkt Mit Geduld und Freundlichkeit Leben mit dementen Mitbrüdern Gerade habe ich einen Mitbruder besucht. Er sitzt still und freundlich vor seinem Schreibtisch, hat ein Buch in der Hand, liest darin oder schaut Bilder an. Beim „Grüß Gott“ schaut er mich an, lächelt und freut sich über den Besuch. Er antwortet meist nur mit Ja oder Nein.Wenn ich auf ein Bild hinweise: „Kennst du den?“, dann kommt zurück: „Jo, freili“. Wenn er bekannte Gesichter sieht bzw.sich selbst,lacht er und freut sich. Am Schreibtisch und ebenso auch in der Kapelle bleibt er sitzen, bis man ihn abholt. Er nimmt jeden Tag an einer Therapiestunde teil, wo man miteinander singt, bastelt oder spielt und die verschiedenen Feste vorbereitet. Beim Gehen, auch mit Rollator, muss man ihn begleiten. Noch vor einem halben Jahr ist er ganz allein marschiert, ja er ist auch mal hinausgegangen und hat nicht mehr heimgefunden. Die Motorik hat inzwischen sehr nachgelassen und erst recht seine Orientierung. Hier im Alten- und Pflegeheim haben wir etwa 100 Bewohner. Dabei sind wir konfrontiert mit verschiedenen Stufen der „Vergesslichkeit“ bis hin zur Demenz, des „abnehmenden Geistes“. Einige Bewohner erzählen immer wieder dasselbe, vor allem aus ihrer Kindheit oder von ihren Kriegserlebnissen.Viele tun sich schwer, Worte zu finden für das, was sie sagen wollen. Andere wollen etwas, aber wissen nicht mehr, was. Früh gelernte Gedichte können sie rezitieren, auch bekannte Gebete mitsprechen oder Melodien mitsummen. kennen, dass es ihm möglich ist, unsere Würde, unsere wirkliche Bestimmung und Schönheit wieder freizulegen. In der Begegnung mit ihm können wir unserer uns von Gott zugedachten Identität als geliebte Söhne und Töchter inne werden.Werden wir uns damit endgültig identifizieren können? Das wäre unsereVollendung. Menschen stehen in der Gefahr, ihre Identität zu verlieren und zu vergessen. Dies geschieht in dem furchtbar erlittenen Gedächtnisverlust einer Demenzerkrankung. Aber es gibt die Gefahr eines „Gedächtnisverlustes“ auch für die „Gesunden“:Wenn das eigentliche Ziel des Lebens, die eigene Bestimmung oder die innerste Sehnsucht immer mehr in Vergessenheit geraten und ersetzt werden durch Oberflächliches, durch Rechthaberei, durch Materielles. Die Begegnung mit der richtenden Liebe Gottes ermöglicht es, die eigentliche Identität wiederzufinden und anzunehmen. Die Begegnung mit Christus im Gericht verleiht dem Menschen die Identität, die er in Ewigkeit annehmen und ertragen kann: Die des endgültig und restlos angenommenen verlorenen Sohnes, der endgültig und restlos von Gott angenommenen verlorenen Tochter (vgl. Lk 15). Das ewige Leben gleicht sicher nicht dem Aufenthalt auf einer einsamen Insel mitten im Ozean. In der Gemeinschaft mit Gott und der Gemeinschaft der Vollendeten, der Gemeinschaft der Heiligen, ist die Vollendung des Menschen ein ewig gleich-zeitiges Ereignis von Beschenktwerden und Sich-Verschenken, von Beglücktwerden und Glück-verschenken: das Gegenteil einer isolierten Gegenwart. Klaus Vechtel SJ

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