18 Jesuiten Schwerpunkt: Vergessen Schwerpunkt Fragen an das Vergessen Ist Vergessen peinlich und ärgerlich? „Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen“, sage ich manchmal, wenn es besonders eilig ist und mehrere Dinge auf einmal erledigt werden sollen. Doch dann entdecke ich, doch etwas vergessen zu haben, etwas Wichtiges und muss denWeg zwei Mal gehen und habe letztlich nichts gespart und zu allerletzt ärgere ich mich auch noch über mich selber. Mit ein klein wenig mehr Ruhe und nochmaligen Nachdenken wäre Zeit und Energie gespart gewesen und Ärger. Wer beruflich mit vielen Menschen, zum Beispiel in der Schule, zu tun hat, weiß vielleicht um die Not, sich immer wieder neue und viele Namen von Schülern und Schülerinnen einprägen zu müssen. Das klappt dann im Klassenverband auch ganz gut, aber sobald mir dann jemand außerhalb der Schule begegnet, habe ich den Namen oft genug nicht präsent, habe ihn vergessen. Das ist manchmal peinlich und oft unangenehm und ärgerlich. Klar, mit einigen Tricks und mancher Berufserfahrung lässt sich diese Art von Vergessen etwas kompensieren, aber beneidenswert sind Menschen, die andere immer mit Namen anreden können. Wer in einer Bürostruktur arbeitet, weiß, wie wichtig Zeit- und Büromanagement sind, um wichtige Termine und zu bearbeitende Angelegenheiten nicht einfach zu vergessen. Wenn es geschieht, ist es peinlich und ärgerlich. Kann Vergessen entlastend sein? „Bitte schicken Sie mir eine Email“, sage ich häufig zu den Studierenden, die mir zwischen Tür und Angel etwas sagen, was sie gerade jetzt in diesem Augenblick regeln wollen. Der positive Effekt einer solchen Vorgehensweise hilft beiden Seiten. Durch das Aufschreiben wird stärker reflektiert und unterschieden, was jetzt wirklich wichtig ist. Wenn dann keine Mail kommt, ist eine Angelegenheit vielleicht schon wieder vergessen, weil sie nicht wichtig war, oder hat sich anderweitig erledigt und kann somit getrost vergessen werden. Andererseits kann ich mit dem Gesprächspartner auch gleich entscheiden, ob vielleicht ein Gespräch gerade jetzt dran ist und es in Wirklichkeit um etwas ganz anderes geht als das, was gerade benannt worden ist. Als Seelsorger bekomme ich viel Lebensgeschichte erzählt. Manches davon beeindruckt mich, weil Parallelen zum eigenen Leben deutlich werden oder mir wieder etwas einfällt, was ich schon vergessen glaubte. Aber in diesen Gesprächen steht der Andere im Zentrum. Durch Erzählen werden Zusammenhänge deutlich, er bzw. sie entdeckt sich dabei selber und kommt persönlichen Antworten näher. Somit ist es für mich wichtig, dass ich vieles von dem, was ich erzählt bekomme, wieder vergesse und nur Wesentliches behalte. Das empfinde ich als entlastend. Kann Vergessen Ausdruck von Heilung sein? „Ein gutes Gedächtnis ist eine gute Gabe Gottes, Vergessen-können ist oft eine noch bessere Gabe Gottes“ (Georg Christoph Lichtenberg). Auf mein eigenes Leben schauend kann ich sagen, dass ich vieles, was ich erlebt habe, scheinbar schlicht vergessen habe. Gut, aus der Psychologie weiß ich, dass nichts wirklich vergessen wird, sondern in den Tie-
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