Jesuiten 2012-3

20 Jesuiten Schwerpunkt: Vergessen Schwerpunkt Unvergessene und unvergessliche Momente Woran will ich mich gerne erinnern? Interview mit Wolfgang Seibel SJ Pater Seibel, Sie stehen im 85. Lebensjahr, seit 1955 sind Sie Jesuit.Woran erinnern Sie sich im Rückblick besonders gern? An das ZweiteVatikanische Konzil natürlich. Es war das wichtigste Ereignis der Kirche seit mindestens 400 Jahren. Es war faszinierend, weil das Konzil die Kirche wirklich verändert hat. Und ich hatte das Glück, dabei gewesen zu sein. In welcher Funktion? Ich war Berichterstatter für die Nachrichtenagenturen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Bis auf die dritte Konzilssession habe ich alle großen öffentlichen Sitzungen zwischen 1962 und 1965 mitbekommen. Sie waren 34 Jahre alt, als das Konzil am 11. Oktober 1962 begann. Ja, und ich hatte vorher lange Jahre eine enge, starre Kirche erlebt, die sich vor allem selber zelebriert und in Szene setzt. Pius XII. wurde ja nicht umsonst „engelgleicher Papst“ genannt. Ich bin als Priester in den Orden eingetreten.Vorher hatte ich aber als Germaniker in Rom studiert. Die damals herrschende Enge habe ich hautnah mitbekommen. Das Konzil wirkte da auf mich, wie auf viele andere, befreiend. Worin bestand diese Befreiung? War sie mehr atmosphärisch oder mehr inhaltlich? Beides. Zum einen war einfach durch Papst Johannes XXIII. eine andere Atmosphäre entstanden, nicht nur optisch – nach dem hageren Pius-Papst ein rundlicher, lächelnder Johannes, den viele unterschätzten. Auf ihn folgte der große Intellektuelle Paul VI., dessen Bild nach dem Konzil durch die Enzyklika „Humanae vitae“ von 1968 leider verdüstert wurde. Zum andern aber ging die Kirche inhaltlich in die Breite: Bischöfe aus alten Erdteilen waren da, Weltkirche wurde erlebbar, auch in ihren vielfältigen Zugängen zu einzelnen Themen. Es geschah das Wunder einer intensiven Meinungsbildung. In vielen Fragen ist es den Bischöfen gelungen, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Was sind die entscheidendsten Änderungen, die das Konzil auf den Weg gebracht hat? Das Konzil hat die Kirche verändert. Irreversibel, wie wir alle meinten. Und es ging dabei nicht nur um Stilfragen. Ich nenne nur die Stichworte Dialog, Religions- und Gewissensfreiheit, das Bild von Kirche als dem wanderndenVolk Gottes. Das gab es vorher so nicht. Heute wird darum gerungen und gestritten. Ich befürchte, dass es da und dort einen Rückbau geben soll. Konzilstexte werden relativiert, umgebogen, klein geredet. Und tragisch ist, dass einer, der auf dem Konzil als fortschrittlich galt, jetzt in seiner neuen Rolle als Papst extremen Kräften in der Kirche entgegen kommt und ständig Konzessionen macht. Diese Kräfte sind zwar eine kleine Minderheit, aber sie artikulieren sich lautstark. Sie wollen das Konzil im Grund rückgängig machen und frühere Zustände wieder herstellen.

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