Jesuiten 2012-4

10 Jesuiten Schwerpunkt: Virtuelle Welt Schwerpunkt In die Computerzeit hineinleben Erinnerungen eines älteren Jesuiten 1968 schrieb ich meine Dissertation noch auf Schreibmaschine mit vier Durchschlägen. Druckfehler versuchte ich, noch auf der Walze auszuradieren. Man musste jeweils unter die Kohleblätter Zwischenpapier legen. Selbst mit Flüssig-Tipp-Ex war Korrigieren immer eine Geduldsprobe. Als ich 1976 eine Übersetzung der Geistlichen Übungen für den Druck im Benno-Verlag vorbereitete, entstand ein Manuskript mit sehr vielen Überklebungen in bis zu drei „Stockwerken“. Es per Post nach Leipzig zu schicken, hat damals drei Monate gedauert; die östliche Postzensur schien sich sehr zu interessieren. Mein erster Computer (1983) war ein Apple III. Er hatte keine Festplatte und auch noch keinen Bildschirm für Farben. Man musste ihn mit einer Floppy-Disk mit 64 kb Speicherplatz in Betrieb nehmen. Speichern konnte man nur auf einer anderen Floppy-Disk, für z. B. eine Datei von 23 kb dauerte dies 1-2 Minuten. Es gab noch kein Silbentrennungsprogramm und man konnte noch nicht Blocksatz schreiben. Sonderzeichen waren kaum hinzubekommen. Dennoch, welch ein Fortschritt gegenüber früher! Am Computer konnte man an Texten basteln, ohne immer das Ganze neu schreiben zu müssen. Es gab übrigens bei Apple einmal eine Reklame für Computer mit einem Bild des Portals der Freiburger Universität, über dem in goldenen Lettern steht: „Die Wahrheit wird euch frei machen“. Dieses Wort (Joh 8,32!) wurde als ein Beispiel für die heute doch überwundeneWissenschaftsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts bezeichnet. Aber Computer würden die Zeit für das Erstellen von Texten um die Hälfte verkürzen, nein, nur um ein Drittel; die Differenz könne man nutzen, um das Produkt gegenüber früher zu verbessern. Meine Dateien ließen sich über eine elektrische Typenradschreibmaschine ausdrucken. Allerdings musste man für jede Seite unten in der Mitte einen Punkt vorsehen, damit nicht das nächste Blatt beim automatischen Einzug zerknittert und angerissen wurde. Anfang der 90er Jahre wurde im Max-PlanckInstitut für Geschichte in Göttingen die kritische Ausgabe der Ignatiustexte gescannt und als Computerdateien zugänglich gemacht, u. a. zwölf etwa 600-seitige Bände von über 6800 Briefen und Unterweisungen. Dies war für meine Übersetzung von 400 Briefen und anderer Ignatiustexte eine unschätzbare Hilfe. Man konnte in Sekundenschnelle alle sonstigenVorkommen eines Wortes im Urtext vergleichen. Eine völlig neue Qualität erhielten die Computer durch das Aufkommen des Internets, das ab 1989 als World Wide Web allgemein zugänglich wurde, zugleich entwickelte sich der E-Mail-Verkehr.Wollte man früher auf eine briefliche Anfrage antworten, musste man zunächst die Frage abschreiben, um darauf einzugehen. Im Internet kann ich einfach in das empfangene E-Mail Absatz für Absatz meine Stellungnahme hineinschreiben. Briefe nach Südamerika hatten früher eine Laufzeit von 14 Tagen bis vier Wochen. Ein E-Mail erreicht den Adressaten gewöhnlich nach Sekunden. Ich brauchte einmal ein Zitat von Thomas von Aquin und wollte nicht eigens in unsere Bibliothek gehen. Ich stieß auf eine neue Website, die sämtliche Werke von Thomas von Aquin für jeden kostenlos zugänglich macht. Das ist ein ganzer Bücherschrank, der keinen Platz wegnimmt. Peter Knauer SJ

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