Jesuiten 2013-2

Wer engagiert sich in Brüssel für Europa? Den nicht immer scherzhaften Vorwurf „Ihr Jesuiten in Brüssel gehört also auch zu den Eurokraten“ habe ich in „meiner Zeit in Brüssel“ selten gehört. 1997 bis 2009 waren aufregende Jahre: Erweiterung; Euro; Verfassungskonvent, bei dem die Kirchen mit vielen Experten beteiligt waren… Einige Begegnungen rufe ich mir ins Gedächtnis: • René aus Frankreich, der mich immer wieder an die Geschichte der Union erinnerte: seine Generation sei noch viel mehr vom Idealismus geprägt gewesen als die junge „Generation der Karrieristen“. • Die philippinische Botschaftsangehörige, die mir sagte: „Je nachdem, wie eine Beamtin hier in Brüssel ein Komma setzt, verlieren oder gewinnen wir 100.000 Arbeitsplätze“ – das Komma entscheidet, ob bestimmte Waren zollpflichtig sind oder nicht. • Gosia aus Polen, die in Brüssel ihre Heimat vermisst, obwohl ihr Gehalt hier das von zu Hause um ein Vieles übersteigt. Sie sieht ihren Partner abwechselnd in Brüssel oder Warschau – eine „normale“ Wochenendbeziehung. • Alvis aus Lettland macht ein Praktikum. Die europäischen Einrichtungen arbeiten wie ein Durchlauferhitzer: jungen Leuten einige Monate die Lust auf Europa zu vermitteln, so dass sie zu Hause ein positives Bild von Europa aus erster Hand weiter geben. • Alessandra (16) zieht mit ihrer Familie alle vier Jahre in ein anderes Land: Saudi-Arabien – Rom – Washington – Rom. Jetzt für einige Jahre Brüssel: „Kaum hatte ich Freunde in Washington, da sind wir wieder weggezogen“ – und das wiederholt sich für NATO-Angehörige alle vier Jahre. • Miguel ist mit Leib und Seele „Andaluz“ – und Europäer. Jedes Jahr macht er die große Wallfahrt zur „Virgen del Rocío“ in einer Tracht, die in Brüssel nur auf Befremden stoßen würde. Traditionsverbunden als Andalusier und modern als Europabeamter – für ihn kein Widerspruch. • Gerlinde aus Österreich, die in Ausschüssen mit wildgewordenen Spaniern, Briten und Franzosen über Hochseefischerei streitet – mit dem Wissen über Fischerei auf Donau und Bodensee. • Jeroen, der holländische Reformierte, der seit Jahrzehnten die ökumenische Stimme der Kirchen in Brüssel unterstützt. In den verschiedensten, für ihn vielleicht befremdlichen Gottesdiensten tritt er auf, um „die gute Nachricht“ von der europäischen Einigung unters Volk zu bringen. • João, der portugiesisch-sprachige Priester, dem es auch nach Jahren nicht gelingen will, die EU-Portugiesen mit den Gastarbeitern zusammenzubringen, geschweige denn mit den brasilianischen Einwanderern. • Muammar aus Tunesien, der mit der EU ein Programm auflegt, das die abra- 14 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2013 n Europa! ©Russell Watkins

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