Jesuiten 2013-2

Europa – das ist mehr als Europa Einige verzweifeln in diesen Tagen an Europa: Auf Krisen folgen nur provisorische Kompromisse und auf Brüsseler Gipfel die jeweilige nationale Agenda. Und Kassandren gibt es genug, die selbstgefällig Schlimmstes vorhersagen. Es mangelt wirklich nicht an Gründen, zu fragen und zu zweifeln. Aber müsste man sich nicht auch die Zeit nehmen, um zu bedenken, welchen Weg wir schon zurückgelegt haben und sich zu fragen, welches Ziel uns heute aufgegeben ist? Europa, das heißt: Frieden. Tatsächlich hatte der Prozess der europäischen Einigung von Anfang an den Frieden als seine Herausforderung angesehen – mitten in einem mörderischen Europa, das verwundet und entstellt durch so viele Bruderkriege war. Heutzutage garantiert es ein Leben im Frieden, an das man sich so schnell gewöhnt hat und dessen Wert man erst sieht, wenn es bedroht ist. Europa, das ist ein klares Nein zum Fatalismus. Ja, es ist ein Europa der kleinen Schritte. Diese kleinen Schritte erscheinen nur denen zermürbend, die keine Geduld haben und vergessen, was Europa von Anfang an beseelt: Der Sinn dafür, die Geschichte noch vor sich zu haben. Ja, Europa liegt vor uns: Wie könnte man es übersehen, dass die Europäische Union eine noch unvollendete politische und geschichtliche Wirklichkeit ist, die weniger verächtliche Kritiker und Ankläger bräuchte als Frauen und Männer, die sich für die Zukunft Europas verantwortlich fühlen – für das, was wir unseren Nachkommen hinterlassen werden? Denn dieser Prozess der europäischen Einigung ist wahrlich keine europäische Selbstbezogenheit. Er ist vielmehr das größte Wagnis an Solidarität, das seit 60 Jahren in der gesamten Welt eingegangen wurde und das nicht aufgehört hat, die Augen zur Welt hin offen zu halten. Jenseits noch des „Internationalen“ ist es der Sinn für das Umfassende, das Universale, der das europäische Bewusstsein seit langem antreibt. Bereits am 9. Mai 1950 sagte Robert Schuman: „Die Vereinigung der europäischen Nationen erfordert, dass der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird. Das begonnene Werk muss in erster Linie Deutschland und Frankreich erfassen“ – und am 22. Januar 2013 haben wir den 50. Jahrestag des Élysée-Vertrags gefeiert. Dieser zurückgelegte Weg hat eine Bedeutung, die zwei Völker und zwei Nationen übersteigt: • Es ist ein Weg der Versöhnung zwischen zwei Völkern, die sich zerfleischt haben. Heute ist diese Versöhnung kein Wunschtraum mehr, kein bloßes Versprechen: Sie ist eine lebendige Realität – mit einer Bedeutung auch für die anderen Völker im Herzen Europas: Sie ist ein Beweis, dass die Gewalt besiegt werden kann, wenn freie und mutige Menschen sich entscheiden, dass das Vergangene sich nicht wiederholen darf, und 2 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2013 n Europa!

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