Jesuiten 2013-3

Berufen zur Care-Arbeit „Wie lange haben wir uns nicht gesehen! Wo schaffst du jetzt?“ „Beim Daimler“ antwortet der Kollege aus Stuttgart. „Schaffe, schaffe!“ meint: Metallwaren, chemische Erzeugnisse oder Nahrungsmittel herstellen, arbeiten in der Autofabrik, auf dem Bauernhof oder am Bau, „Häusle baue“. Das Gespräch unter Männern dreht sich um die Industriearbeit. Sie macht die deutsche Wirtschaft global wettbewerbsfähig, ist Quelle des gewachsenen Reichtums, in der Gesellschaft hoch geschätzt und komfortabel entlohnt. Sie wird von den Männern als Domäne des „homo faber“ behauptet. Was ist mit denen, die zwar arbeiten, aber keine Waren produzieren? Die vielmehr Menschen begleiten, erziehen, heilen, aufrichten und ihnen helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen? Welchen Wert hat diese Arbeit des aufmerksamen Blicks, der einfühlsamen Zuwendung, des praktischen Beistands, des Einsatzes gegen Armut, Krankheit und Unrecht? Die CareArbeit des „homo resonans“ ist in unserer Gesellschaft wenig geschätzt, gering oder gar nicht entlohnt und wird meist von Frauen geleistet. Wo hat Jesus geschafft? „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakob?“, „der Sohn des Zimmermanns?“, wie die Nachbarn gefragt haben. Jesus hat jahrelang am Bau geschafft, etwas hergestellt, produziert – bis zu dem Tag, da die Taufe des Johannes und der Ruf Gottes ihn zur Care-Arbeit beriefen. Er spürte die Gottesherrschaft gekommen, als er Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige rein werden ließ und den Armen die frohe Botschaft verkündete. Er sammelte die Verlorenen und fügte das, was getrennt war, zusammen. Er hatte Mitleid mit den Gefallenen, heilte die Verletzten, richtete die Gebeugten auf, reichte den Gestrauchelten seine Hand und teilte das Brot mit denen, die von den religiösen Eliten in Jerusalem geächtet waren. Er hat alles gut gemacht, urteilte das Volk in Galiläa. Die deutsche Gesellschaft steht vermutlich wie andere europäische Gesellschaften an einer Wegscheide von der industriellen Konsumwirtschaft zur kulturellen Dienstleistungswirtschaft. Der Weg einer exportgetriebenen Industriewirtschaft ließe sich vielleicht fortsetzen, wenn das Wirtschaftswachstum in den herkömmlichen Bahnen beschleunigt wird. Dem steht jedoch die weiterhin bestehende hohe Produktivität der Industriearbeit im Weg, der ein weiterer Abbau industrieller Arbeitsplätze folgt. Nun ließe sich die Lebensdauer der Industriewaren, etwa von Autos, Gebäuden, Straßen und Haushaltstechniken durch eingebauten Verschleiß künstlich weiter verkürzen. Aber abgesehen von den dadurch verursachten Eingriffen in die natürliche Umwelt hat eine solche Konsumsteigerung keinen Sinn. Dabei steigt in Deutschland der Bedarf an bezahlter oder unbezahlter Care-Arbeit 22 Jesuiten n September 2013 n Ein Herz grösser als die Welt Geistlicher Impuls

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==