Jesuiten 2014-3

religiöse Tradition besser zu kennen als ihre Mütter und Väter. An die Rückkehr zu dem „reinem Ursprung“ knüpft sich das Versprechen, dass die gewaltigen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme einer Region oder Nation auf revolutionärem Weg lösbar seien, wobei nicht an die „westliche“ Revolution im Sinn der Gewaltenteilung, der Durchsetzung individueller Freiheitsrechte oder der Nutzung moderner Technik gedacht ist, sondern an die Etablierung vormoderner Politikformen und einer integralen Rechts-, Sitten- und Sakralordnung. Papst Benedikt hat vor drei Jahren das Anliegen der Neu-Evangelisierung mit dem der „Entweltlichung“ der Kirche verknüpft. Radikale Katholiken interpretieren das Papstwort so, dass die Kirche in Treue zu ihrem göttlichen Stifter gegenüber dem Zeitgeist keine Kompromisse eingehen könne. War Jesus radikal? Ging er nicht doch Kompromisse ein, als er, der nach eigenem Selbstverständnis „nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt war“ (Mt 15,24), die Tochter der Syrophönizierin heilte, oder sich von einer blutenden Frau berühren ließ, den Zöllner Matthäus zum Jünger berief, seine Jünger nicht wie Johannes fasten ließ, alle Speisen für rein erklärte, am Sabbat heilte? Radikaler als Jesus zeichnen die Evangelien Johannes den Täufer, die Pharisäer, Zeloten, Sadduzäer. Der menschgewordene Gottessohn kann nicht radikaler als der Vater sein, der „über Gute und Böse seine Sonne aufgehen lässt“ und „Barmherzigkeit, nicht Opfer“ will (Mt 12,7). Heinrich Watzka SJ 15 Jesuiten n September 2014 n Radikal © fotolia/Satit Srihin

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