Jesuiten 2014-3

Oder darf man radikale Ästhetik – vergleichbar mit der absoluten Musik – als unbedingten Verzicht auf alles Realistische und sinnlich Wahrnehmbare verstehen? Wäre die abstrakte Kunst jener Königsweg der Ästhetik, die nur noch geistige Strukturen und Formen zeigt? Schönheit in ihrer reinsten Form, die ihre Inspiration – wie die Wurzeln – aus dem Bereich des uns nicht Sichtbaren, aus dem Verborgenen empfängt? Kein von Angst und Schmerz verzerrtes Gesicht eines Gefolterten der chilenischen Künstlerin Fernanda Piamoati also, sondern – wie in Sankt Peter in Köln – nur der Satz in Blockschrift „Ich habe Angst“ von Rosemarie Trockel im Altarraum, der die Gottesdienstbesucher zutiefst anrührt und sie mit ihren eigenen Ängsten konfrontiert hat? Beides müssten wir aushalten lernen. Radikal ist ein sehr schillerndes Adjektiv, zumal es unter vielerlei Rücksicht negativ konnotiert ist. Schönheit und Kunst verweisen auf den Künstler als Schöpfer, sprich: auf den Menschen. Er ist die Wurzel. Radikale Ästhetik wäre die künstlerische Gestaltung einer inneren Vorstellung von etwas, das er mit Konsequenz umsetzt, ohne dabei seine Kreatürlichkeit, seine Sehnsüchte und die eigenen existentiellen Brüche zu vergessen. In Anlehnung an einen fiktiven Grabspruch für Ignatius von Loyola könnte man formulieren: Sich faszinieren lassen von der Weite und Größe des Schönen und doch ins Spiel bringen die Grenzerfahrungen und die Gebrochenheit alles Endlichen. Diese Ästhetik ist weder reduziert noch minimalistisch, weder rein noch absolut. Eine radikal menschliche Ästhetik wäre es. Werner Holter SJ 19 Jesuiten n September 2014 n Radikal © fotolia/studio2013

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