Jesuiten 2014-3

Radikalität in der Pädagogik Junge Menschen dürfen nicht für politische Zwecke instrumentalisiert, nicht zu politischem Aktionismus angehalten und schon gar nicht politisch radikalisiert werden. Bezüglich dessen, was Erziehung in der Schule nicht darf, herrscht wohl breiter Konsens. Doch wo verlaufen die pädagogischen Grenzen, wenn es darum geht, Schülern die Gelegenheiten zu geben, für ihre Überzeugungen einzustehen, notfalls auch in Form des offenen Protestes auf der Straße? „Können wir als Klasse nicht einen Beitrag leisten, damit die Pauke erhalten bleibt?“ Diesen Satz hat ein Neuntklässler, der mit Klassenkameraden im Anschluss an eine Gesprächsrunde, die viele Schüler sehr nachdenklich und betroffen gemacht hat, im großen Stuhlkreis formuliert. Zuvor hatten sich die Schüler/innen im Rahmen eines schulischen Präventionskonzeptes mit ehemals Drogenabhängigen in der Bonner „Pauke“, einem Zentrum für Suchthilfe, getroffen. Aus dem Munde von Betroffenen haben sie gehört, was es heißt, über Jahrzehnte lang drogenabhängig zu sein. Sie haben erfahren, wie plötzliche Schicksalsschläge dem eigenen Leben eine ganz ungeahnte, negative Wende verleihen können. Und sie haben mit Hochachtung wahrgenommen, dass der Weg zurück ins „normale“ Leben nach erfolgreichem Entzug trotz aller Entbehrungen und schmerzhafter Rückschläge mit viel Glück schließlich doch möglich ist. Das Sprichwort, dass jeder Mensch seines Glückes eigener Schmied sei, wollte in dieser Form kaum ein Jugendlicher nach den Offenbarungen der Gesprächspartner so noch im Raum stehen lassen. Außerdem haben die Schüler gespürt, wie wichtig in solchen Lebenssituationen Unterstützung von außen ist, wie sie zum Beispiel von einer Einrichtung wie der „Pauke“ geboten wird. Allein und ohne fremde Hilfe, so waren sich alle ehemals Abhängigen nämlich einig, hätten sie sich wohl nie von den zerstörerischen Drogen lossagen können. Beiläufig wurde am Schluss erwähnt, dass ein zentraler therapeutischer Bereich der „Pauke“ aus Kostengründen bald schließen soll. Die Schüler waren ein zweites Mal sehr betroffen und haben spontan beschlossen, sich an den geplanten Demonstrationen zu beteiligen. Ist das eine Reaktion, die pädagogisch wünschenswert ist? Paulo Freire, einer der großen Befreiungspädagogen des vergangenen Jahrhunderts, würde den Willen der Schüler, sich politisch aktiv für eine Sache einzusetzen, die zu mehr (Chancen-) Gerechtigkeit führt, sicherlich befürworten. Freire ist der Überzeugung, dass es einer Schule gelingen muss, ihre Schüler aus der gelebten Passivität zu führen. Die Passivität sei vielfach Ausdruck einer fatalistischen Weltsicht, die nicht dazu beitragen kann, die politischen, sozialen oder kulturellen Zustände zu verbessern. 20 Schwerpunkt Jesuiten n September 2014 n Radikal

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==