Jesuiten 2014-3

Die Radikalität der Nachfolge Jesu „Wenn jemand zu mir kommt und er nicht seinen Vater, seine Mutter, seine Frau, seine Kinder, seine Geschwister und auch sich selbst hasst, dann kann er nicht mein Jünger sein”. Diese Worte sind von Jesus zu den Menschen gesprochen worden, die sich um ihn versammelt hatten (Lk 14,26). Es handelt sich hier nicht um einen Einzelfall. In den Evangelien finden wir andere Stellen, in denen Jesus von denen, die ihm folgten, eine radikale Absage an familiäre Bindungen verlangt, bis hin zu der Bitte an einen Jünger, die heilige Pflicht der Bestattung des eigenen Vaters nicht zu erfüllen (Lk 9,57-58). Angesichts solch verstörender Forderungen drängen sich Fragen auf: Wie muss man diese von Jesus formulierten Anforderungen an die Nachfolge verstehen? Sind sie für uns heute von Bedeutung? Diese Fragen sind auch deshalb brisant, weil es sich bei derartigen Aussagen Jesu nicht um spätere Hinzufügungen irgendeines exzentrischen Jüngers handelt, sondern um Sprüche, von denen die kritische Exegese mit guten Gründen annimmt, dass sie auf Jesus selbst zurückgehen. Um den Sinn solch radikaler Forderungen verstehen zu können, ist es notwendig, sich die Situation zu vergegenwärtigen, innerhalb derer sie von Jesus formuliert wurden. In kultureller Hinsicht lebte Jesus in einer Welt, in der der Familie eine eminent wichtige Funktion zukam. Es war die Großfamilie, das „Haus”, nicht der Staat oder andere Vereinigungen, die bestimmten, wer man war und von wem man als Individuum konkrete Unterstützung erwarten konnte. Dies bedeutete aber auch, dass das „Haus” eine Kontrolle über die Beziehungen des Individuums ausübte und verhinderte, dass Einzelne sich für die frohe Botschaft Jesu öffnen konnten. Historisch gesehen war Jesu Einladung zur Nachfolge Teil eines größeren Projekts, welches darauf abzielte, allen Menschen die freudige Nachricht des unmittelbaren Anbrechens der Herrschaft Gottes zu verkünden. Jesus versammelte um sich eine kleine Gruppe von Jüngern, damit sie ihm bei der Verkündigung dieser freudigen Nachricht helfen. Sie sind im Wesentlichen die Adressaten, an die sich die Sprüche über die Radikalität der Nachfolge richten. Die Neuigkeit einer solchen Einladung zur Nachfolge und der Verkündigung der anbrechenden Gottesherrschaft traf nun aber auf die Trägheit eines Systems verwandtschaftlicher Beziehungen, welches sich jeglicher Veränderung widersetzte. Da Jesus vom unmittelbaren Anbrechen der Gottesherrschaft ausging, erklärt dies die Radikalität und Dringlichkeit, die man in manchen seiner Aussprüche wahrnimmt. Er hatte selbst die Trägheit und den Widerstand dieses Systems im Unverständnis bis hin zum offenen Widerstand seiner eigenen Verwandten erfahren, woran uns das Markusevangelium erinnert (Mk 3,20-21; 6,1-6a). Diese Erfahrungen 4 Schwerpunkt Jesuiten n September 2014 n Radikal

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