Jesuiten 2014-3

Radikale Demut ist Liebe Radikales kann leicht missverstanden werden. Demut ist radikal, denn sie besteht in der Erkenntnis, Sünder zu sein, sowohl der Möglichkeit als auch der Wirklichkeit nach. Sie hat nichts zu tun mit einem negativen Selbstbild oder der Überzeugung, dass man wertlos sei, sondern besteht in der ehrlichen Wertschätzung der eigenen Fähigkeiten, einem ausgewogenen Sinn des eigenen Wertes vor Gott und in der menschlichen Gemeinschaft. Sie kann daher als Tugend gelten. Tugenden muss man einüben. Daher zieht sich Demut wie ein roter Faden durch die Geistlichen Übungen des Ignatius. In der Ersten Woche erkennt der Übende seine Sünden, die im Kern Hochmut sind. Mithilfe von Askese, Buße und Gebet gelangt er zur demütigen Anerkennung der eigenen Geschöpflichkeit und der Göttlichkeit Gottes. In der Zweiten Woche tritt der Exerzitant immer mehr in Beziehung mit Christus. Er betrachtet dessen Geburt, Leben und Leiden und bittet immer wieder darum, in seine Nachfolge erwählt zu werden. Dazu gehören die Bereitschaft und die Vorliebe, Christi Mühen, Leiden, Armut und Erniedrigungen auf sich zu nehmen. Weil Christus als Menschgewordener den Abstand zwischen Gott und Mensch überwindet, sind die konkreten Bedingungen seines Lebens dafür entscheidend. In ihnen zeigt sich, wie Gott zu den Menschen steht und wie man ihm begegnen kann. Angesichts dieser Realität drückt sich der überlegte Wunsch aus, Gott auf die Weise näher zu kommen, durch die er sich dem Menschen genähert hat: auf dem Weg der selbstentleerenden Liebe. Die Tendenz der zweiten Exerzitienwoche, Demut als zentrales Charakteristikum der erlösenden Inkarnationsgeschichte zu sehen, erreicht ihren Höhepunkt in den drei Weisen der Demut (EB 165-167). Der Exerzitant soll sie erwägen, unmittelbar bevor er in die „Wahl“ eintritt, also eine Lebensentscheidung trifft. In der ersten Demutsweise ist der Exerzitant auf Gott ausgerichtet, vermeidet Todsünden noch zum Zweck der Selbstrettung. In der zweiten ist er ungehinderter und freier auf Gott hin ausgerichtet, indifferent, und ist im Stande, frei von lässlichen Sünden Gott um Gottes willen zu erstreben. Die dritte Weise ist die radikale Liebe zu Christus (EB 167): Nur als Liebender kann ich wünschen, mehr mit Christus arm, geschmäht und gekreuzigt zu sein. Dies geschieht nicht etwa aus Masochismus, sondern aus Liebe zum leidenden und gekreuzigten Christus um Christi willen. Diese radikale Bereitschaft entspringt also keineswegs einer selbstzerstörerischen Grundhaltung. 6 Schwerpunkt Jesuiten n September 2014 n Radikal Liebe zum leidenden und gekreuzigten Christus

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