Jesuiten 2015-1

Ihr Tod lehrt mich: leben Erfahrungen eines Hospizseelsorgers „Im Mittelpunkt steht der ganze Mensch.“ Dieser Selbstanspruch der Hospizidee erweist sich mit dem Selbstverständnis jesuitischer Seelsorge, iuvare animas („den Seelen helfen“), als gut kompatibel. In einem Brief zählt Juan Polanco, der Sekretär des Ignatius von Loyola, verschiedene Seelsorgstätigkeiten der Jesuiten auf. Einige davon, so schreibt er, sollen helfen „gut zu leben, andere, gut zu sterben“. In die Lebenswelt der Hospize übersetzt, bedeutet iuvare animas: Menschen zu helfen, gut zu leben, bis zuletzt. Im Folgenden stehen Frauen, Männer und Kinder im Mittelpunkt, die mir als Lehrende begegnet sind. Die meisten davon sind schon verstorben. Von ihnen allen aber gilt, was Hilde Domin, die große, so achtsame Lyrikerin in ihrem Text „Unterricht“ schreibt: „Jeder der geht, belehrt uns ein wenig über uns selber. Kostbarster Unterricht an Sterbebetten.“ Die, die mir „kostbarsten Unterricht“ erteilen, sind sterbende Menschen, die daran sind, ihr Leben zu vollenden. Sie lehren uns vieles „über uns selber“. Nicht zuletzt aber, dass wir alle Lernende bleiben. Viele dieser geschenkhaften Begegnungen berühren zutiefst und hinterlassen Spuren. In allen aber wird mir vor Augen geführt: Einmal werde auch ich gelebt haben. Denn auch ich werde dem Tod nicht entkommen. Unausweichlich wird er mir eines Tages begegnen, als mein Tod. Die Begegnungen mit dem Tod anderer Menschen haben nicht dazu geführt, mich an ihn zu gewöhnen. Sie fordern mich immer wieder heraus, mich der Frage zu stellen, wie ich selbst angesichts des Todes lebe und wie ich leben möchte. Ich habe lernen müssen und bin noch dabei zu lernen, diese Fragen auszuhalten, Tag für Tag neu. Dem Tod aber begegne ich nach wie vor mit Furcht und argwöhnischer Scheu. Denn das Erleben des Sterbens anderer lässt mich die Macht des Todes spüren und, dass auch ich ihm ohnmächtig ausgeliefert bin. Denn er zwingt uns, unser ganzes Leben lang mit ihm zu leben. Doch in vielen Begegnungen und Begleitungen haben mich die sterbenden Menschen gelehrt, durch ihr Sterben gelehrt, nicht am Feindbild „Tod“ festzuhalten, sondern den Tod selbst als Lehrer des Lebens zu begreifen. Das Sterben dieser Menschen – „kostbarster Unterricht“: Ihr Tod lehrt mich zu leben, „einfach so“, wie es die Lyrikerin Christine Busta ins Wort bringt: „Einfach so sich in die Hingabe bergen, ins große Wagnis der Liebe. Sich keine Sicherheit errechnen, nur eine Gewissheit haben: den Tod. Vielleicht kann man so das Leben erfüllen.“ Klaus M. Schweiggl SJ 10 Schwerpunkt Jesuiten n März 2015 n Vom guten Tod

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