Jesuiten 2015-1

Ein leiser Abschied – nicht ohne Kampf Wie stark ist der Blick auf unsere Lieben geprägt von eigenen Wünschen, Ängsten und Horizonten? Würden mein Vater oder meine Geschwister über den Tod meiner Mutter dieselbe Geschichte schreiben? Wir sind jedenfalls eine Generation, die am liebsten ewig leben würde, aber ohne zu altern. Tod ja, Abschied nein. Deshalb das Schreckgespenst schlechthin – „Demenz“. Meine Geschichte mit der Demenz von Mutter begann bei einem Spaziergang in den Voralpen, nur dass ich es damals noch nicht wusste. Sie stürzte ohne Anlass und Vorwarnung. Begann es da, dass sie langsam die Kontrolle über ihren Körper verlor? Es häuften sich Gebrechen und Stürze. Irgendwann wurde sie stiller. Sie überließ meinem Vater immer mehr Aufgaben, die zuvor ihr Reich gewesen waren, und die Initiative auf fast allen Gebieten. Oft denke ich, dass eine der Herausforderungen in der Ungleichzeitigkeit bestand. Für sie begann wohl alles so: Merken, dass irgendwas nicht stimmt, ohne es ins Wort zu bringen. Damit allein sein und sich ins sichere Schweigen zurückziehen. Als wir anfingen mit der Krankheit zu kämpfen, lag das schon hinter ihr. Nun waren wir es, die sie verwirrten. Wir wollten es nicht glauben und testeten sie: „Erinnerst Du Dich nicht?“ Meine Mutter lernte perfekt die Ungemütlichkeit zu überspielen mit dem unverwechselbaren Witz der Orientierungslosen: “Mamma, warum hängst Du denn so schief im Rollstuhl?“ Ratloses Schweigen. „Mamma, wie fühlst Du Dich?“ Strahlendes, freches Grinsen: „Abgehängt halt!“ Uns fiel der Kontakt schwer, als die Unterhaltungen nicht mehr gingen. Ihr reichte, da zu sein, stundenlang am Fenster den Vögeln zuzusehen oder Bildern aus der Vergangenheit oder … Aber da schienen Friede und Einwilligung durch, ganz nüchtern auch in den klaren Momenten. Morgens in der Dusche sang sie mit einer Pflegerin oder sagte Gedichte auf, die, Gott weiß wie, dem Vergessen entgangen waren. Es war hart für meinen Vater, körperlich und seelisch. Und doch waren sie sich, wie er sagte, besonders nahe in dieser Zeit. Wie gern würde ich ihr die quälende Angst und die Einsamkeit in den Phasen der Orientierungslosigkeit und den Schmerz der letzten Stunde ersparen. Aber da waren eben auch das Aufblitzen von frohem Lachen, Wärme und geteilte Lebensfreude. Mir kommt der Tod meiner Mutter wie ein leises Weggehen vor, ein Verwehen, nicht ohne Momente des Schmerzes und doch sanft und gewaltlos. Das hat meinen Blick auf die Krankheit Demenz jedenfalls verändert: Es war – das mag paradox klingen – ein bewusster Abschied, der alle mitkommen ließ, und ich möchte keine Stunde missen. Tobias Zimmermann SJ 14 Schwerpunkt Jesuiten n März 2015 n Vom guten Tod

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